Kritik am eurozentristischen Geschichtsbild der Indologie

Prolog, Anstoß und Epilog  

des Buches von  Prodosh Aich. "Lügen mit langen Beinen " (2003) 

Mit freundlicher Genehmigung des Acharyya Verlag.

Lügen mit langen Beinen
Entdeckungen, Gelehrte, Wissenschaft, Aufklärung
Dokumentarische Erzählung von Prodosh Aich 
ISBN-10 ‏ : ‎ 3935418027 ISBN-13 ‏ : ‎ 978-39354180270

INHALTSVERZEICHNIS:
Prolog: Wir sind, was wir wissen
Der Anstoß
Was geschieht mit uns?
Wegbereiter des "epochalen Entdeckers" William Jones
Wer ist dieser William Jones?
Kalkutta – Sir Williams Eldorado
Alle Spuren laufen auf Kalkutta zu 
In den Fußstapfen Sir Williams
Epilog: Ein Zeitalter der Gehirnwäsche


Prolog: wir sind, was wir wissen

Und wir wissen das, was Berufene uns erzählen. Wie gesagt, wenn die Erzählung stimmig ist, wenn sie in uns kein Unbehagen erzeugt, wenn die Erzählung nicht in Widerspruch zu unserer Erfahrung und zu unserem bereits gespeicherten Wissen gerät, sehen wir keine Veranlassung, das Erzählte nicht anzunehmen. Wir ordnen die neuen Bestandteile zu den übrigen ein und wir wissen etwas mehr. Erzählungen aus fernen Bereichen nehmen wir argloser an. Ansonsten ist eine innere Auseinandersetzung fällig. Vorausgesetzt, unser Gedächtnis funktioniert, wir haben Zeit und können den Widerspruch nicht ohne weiteres verdrängen. Daran haben wir uns gewöhnt. Meist haben wir auch keine Zeit zu fragen, wer der Erzähler ist, wie er zu seiner Erzählung kommt, wie er seinen Lebensunterhalt verdient, wem die Erzählung dient, wen sie schadet, usw.

Wir wollen alles über „Arier“, „Indogermanen“ und „Indoeuropäer“ wissen. Und wir finden Geschichten. Wer kennt sie nicht? Wir finden sie in Nachschlagewerken, in den „Standardbüchern der Geschichte“ und ausführlicher in den speziellen Geschichtsbüchern. Demnach sollen „Arier“ als Nomadenhirten in den Steppen zwischen dem Kaspischen Meer und der heutigen chinesischen Westgrenze beheimatet gewesen sein. In „vorgeschichtlicher“ Zeit. Wie definiert sich vorgeschichtlich? Wie auch immer. Diese weidenden Nomaden sollen sich als die ersten Menschen Pferde und Kühe für das tägliche Leben nutzbar gemacht haben. So etwa vor 6000 Jahren. Sie entdecken Kupfer, Eisen und andere Edelmetalle. Sie erfinden Bronze und Stahl. Ihnen geht es gut. Sie vermehren sich heftig. Sie erweitern ihren „Lebensraum“. Wessen „Lebensraum“ sie dabei wegnehmen? Wer soll uns das erzählen? Ist es wichtig zu wissen? Vielleicht haben sie sich nur den „Lebensraum“ der Tiere angeeignet. Ein frühes „Entdeckungszeitalter“ etwa? Es ist uns halt nicht überliefert. Wären Fragen, wie wir sie stellen, wichtig genug, würden wir sie auch beantwortet finden. Oder etwa nicht?

Teile dieser weidenden Nomadenvölker sollen mit Kühen, Pferden, Kupfer, Eisen, Bronze und Stahl ausgewandert sein. Nach Westen und nach Süden. Die näheren Umstände der Erweiterung des „Lebensraumes“ sollen durch die Tücken der „Früh– und Vorgeschichte“ verschleiert, gar verschüttet sein. Wenn diese weidenden Nomaden tatsächlich ausgewandert sein sollen, können wir uns in etwa vorstellen, warum sie nicht nach Norden, in die Kälte, in die unwirtliche Gegend gegangen sind. Aber warum haben sie nicht ihren „Lebensraum“ nach Osten ausgedehnt? Keiner erzählt es uns. Keiner hat gefragt.

Aber über den Tatbestand der Ausweitung des „Lebensraumes“ soll kein Zweifel bestehen. Als Kulturmenschen haben sie selbstverständlich eine gemeinsame Sprache. So wandert die Sprache mit ihnen. Ein Teil dieser „arischen“ Wandersleute soll Nordwestindien erreicht haben. Der Hindukush ist der einzige Paß durch das Himalaja–Massiv. Wie diese Nomaden aus der turkmenischen Steppe diesen Tausende Kilometer entfernten einzigen Paß gefunden haben? Müssen wir uns mit solchen nutzlosen Fragen aufhalten? Wichtig scheint nur, daß sie den Paß gefunden haben. Sonst wären sie ja nicht in Indien angekommen. Sie sollen groß, stark, hellhäutig, hellhaarig, blau– bzw. grauäugig gewesen sein. Und „dynamisch“ natürlich auch! Sonst würden sie ja den weiten Weg nicht geschafft haben.

Sie werden in Nordwestindien seßhaft. Sie haben ihre Sprache mitgebracht. Logisch. Sanskrit soll sie gewesen sein. Aber keine Schrift. Die Schrift sollen sie erst in Indien erfunden haben. Hätten sie auch eine Schrift mitgebracht, hätten wir diese ja auch in ihrem ursprünglichen Heimatgebiet finden müssen. Aber nirgendwo ist diese Schrift gefunden worden. Also wird gefolgert, daß sie erst im nordwestlichen Indien den Bedarf einer Schrift für die Speicherung ihrer Kenntnisse für künftige Generationen spüren und an die Arbeit gehen. Wie lange dauert es, bis eine Kulturgemeinschaft eine Schrift erfindet? „Philologen“ oder „Vergleichende Sprachwissenschaftler“ haben uns nichts darüber erzählt. Wir müssen uns damit begnügen, daß sich jene „Arier“ aus Zentralasien auf die Wanderschaft begeben, den Hindukushpaß entdecken, die Bewohner des wirtlichen nordwestlichen Indien nach Süden verdrängen, selbst seßhaft werden, sich neues Wissen aneignen, eine Schrift erfinden und dann eine Menge anspruchsvoller Schriften produzieren. Wir wissen natürlich auch nicht, wohin die aus dem Norden vertriebenen Menschen ihrerseits jene im Süden lebenden Menschen vertrieben haben.

So weit, so gut. In den ältesten dieser Schriften sollen sich die Neu–Inder „Arier“ genannt haben. So wird uns erzählt. Wir werden uns noch mit jenen beschäftigen müssen, die uns diese Geschichten zum erstenmal erzählt haben. Es wird aber von keinem erzählt, warum nur dieser Teil sich „Arier“ genannt haben soll, nicht aber ihre Brüder, Schwestern und Vettern anderswo auch, eispielsweise im Westen und/oder die daheim Gebliebenen, wenn sie doch alle „Arier“ gewesen sind? Wieso nicht? Sollten wir es nicht wissen wollen?

Also bleiben wir noch eine kurze Weile bei dem uns verfügbarem Wissen. Es wird uns versichert, daß die Neu–Inder sich „Arier“ genannt haben und die mitgebrachte Sprache dieser „Arier“ „Sanskrit“ gewesen ist. Sanskrit gilt allseitig als die am besten geordnete Sprache. Weil aber Sanskrit sonst nirgendwo gefunden worden ist, so wird logisch gefolgert, müssen wohl die nomadisierenden „Arier“ in Zentralasien eine einfachere Form von Sanskrit gesprochen haben. So wird uns erzählt. Diese einfachere Form, das frühe Sanskrit, Sanskrit im Kindesalter etwa, wird das „Protosanskrit“ genannt. Dieses frühe Sanskrit also breitet sich aus. Dieses „Protosanskrit“ nehmen die „Arier“ aus der Steppe Zentralasiens auch nach Westen mit. Klingt absolut logisch, nicht wahr? Aber es bleibt nicht in seiner ursprünglichen Form. Mit der Zeit und durch die Berührung mit anderen Sprachen im unterschiedlichen Erdteil haben sich Sprache und Kultur der „Arier“ unterschiedlich weiterentwickelt. Aber die Verwandtschaft ist natürlich geblieben. Sowohl in der Sprache und auch sonst. So wird uns erzählt. Eine einleuchtende Erzählung.

Es soll hinreichend nachgewiesen sein, daß zwischen Sanskrit, der Sprache der nordwestindischen „Arier“ einerseits und Griechisch, Latein, germanischen und keltischen Sprachen andererseits, eine enge sprachliche Verwandtschaft besteht. Die Familie der indoeuropäischen“ Sprachen, sozusagen. Und wer diese Verwandtschaft erkannt und nachgewiesen hat? Nicht die „Arier“, die über den Hindukush nach Nordwestindien passierend ihre weltbekannten Schriften, – Veden, Upanishaden, Puranas, Sutras, usw. – verfaßt und sich in ihnen als „Arier“ verewigt haben sollen. Nein. Sie haben in ihren vielen Schriften nicht einmal erwähnt, daß ihnen ihr „Lebensraum“ einst zu eng geworden ist und viele ihrer Brüder, Schwestern, Kusinen und Vettern wie sie selbst auch, auf der Suche nach neuem „Lebensraum“ gewesen und auch anderswo eingewandert sind. Nein. Die „Sanskrit–Arier“ haben keine Erinnerungen mehr, außer daß sie „Arier“ gewesen sein sollen. Ein absolutes „black-out“, was dies angeht. Reklamiert wird die Verwandtschaft durch die entfernten Kusinen und Vettern aus dem „Abendland“. Als sie mittendrin auf Beutepfad im „Morgenland“ sind. Sie rauben zwar Indien aus, schleppen alles weg, was nicht niet– und nagelfest ist, besetzen das Land und beuten es dauerhaft aus. Aber sie bescheren ihren entfernten Kusinen und Vettern zunächst die „Sprachverwandtschaft“ und dann die „Sprachwissenschaft“. Dieser „Wissenschaftszweig“ hat auch den Begriff „Sprachfamilie“ erfunden, aber erst im 19. Jahrhundert nach Chr., genauer zwischen dem Ende des 18. und dem Beginn des 20. Jahrhunderts.

Begriffe wie Familie und Verwandtschaft aber, auch wenn sie in Zusammenhang mit Sprachen kreiert werden, entwickeln ihre Eigendynamik. Der „abendländische“ Erfindergeist ist auch damals rege gewesen. Wenn also, haben die weitläufigen Verwandten aus dem „Abendland“, eher Vettern als Kusinen, gedacht, wenn also ihre Sprachen einen gemeinsamen Ursprung haben, dann gehören sie auch zur gleichen Familie, dann besteht doch auch eine „Blutsverwandtschaft“, selbst wenn sie durch die Jahrhunderte in Vergessenheit geraten ist. So wird der „Arischen Sprache“ kaum fünfzig Jahre später die „Arische Rasse“ hinzugefügt. Und uns werden auch noch weitere „Wissenschaftszweige“ beschert. Die Ethnologie, die Anthropologie, die Psychologie, die Psychoanalyse, usw.

*****

In der Encyclopaedia Britannica 1995 lesen sich diese Erfindungsvorgänge so: „Während des 19. Jahrhunderts entwickelte sich die Theorie einer ‚Arischen Rasse‘ – besonders emsig propagiert durch den Comte de Gobineau und später durch seinen Jünger (disciple) Huston Stewart Chamberlin –, die ‚Indoeuropäische‘ Sprachen sprechend, alle fortschrittlichen Errungenschaften für die Menschheit bewerkstelligte und moralisch überlegener war als die ‚Semiten‘, ‚Gelben‘ und ‚Schwarzen‘. Die ‚Nordischen‘ und die ‚Germanischen‘ Völker wurden als besonders reine ‚Arier‘ angesehen. Eine Theorie, die im zweiten Viertel des 20. Jahrhunderts von Anthropologen zurückgewiesen worden ist, die aber Adolf Hitler und die Nazis ergriffen hatten und zur Liquidierung von Juden, Zigeunern und anderen ‚Nicht–Ariern‘ durch die Deutsche Regierung als Grundlage diente.“

Die zweite Hälfte des 20. Jahrhunderts hat aber bewiesen, daß diese Zurückweisung der „Arischen Theorie“ durch Anthropologen keinerlei Wirkung gehabt hat. Hätten die Anthropologen, Historiker, Indologen, Politologen und Sozialwissenschaftler dieser Kultur nicht auch aus ihrer eigenen beruflichen Erfahrung heraus wissen müssen, daß eine bloße Zurückweisung eher bestätigend wirkt? Hätten sie nicht als Macher einer „Mediengesellschaft“ wissen müssen, daß „Dementis“ das Gesagte verstärken? Was haben die Anthropologen oder Vertreter anderer neuen Wissenschaften unternommen, nachdem feststand, daß die Zurückweisung der Theorie über die angebliche Überlegenheit der „Arischen Rasse“ nichts gefruchtet hat?

1990 wird vom „Max Mueller Bhawan (Haus)“ in Neu Delhi die zweite revidierte Ausgabe der Biographie deutscher Indologen herausgegeben. Die deutsche Kulturvertretung heißt in Indien nicht „Goethe Institut“, sondern sinnigerweise Max Mueller Haus, genannt nach Friedrich Maximilian Müller. Auf ihn kommen wir noch ausführlich zurück. Diese revidierte Ausgabe enthält 130 Biographien deutscher Indologen, die durch Veröffentlichungen über die frühe Geschichte Indiens auffällig geworden sind. Der letzte in dieser „Ahnengalerie“ ist 1931 geboren. Es ist nicht so, daß es danach keine Indologen mehr gegeben hat. Es wird in Deutschland und auch anderswo noch emsig „geforscht“. Viele Bücher werden gedruckt. Die „Arische Rasse“ lebt.

Helmuth von Glasenapp (1891–1963) hat viel über Religion und Philosophie geschrieben. Hohe Auflagen. Wir zitieren aus einer „ungekürzten Taschenbuchausgabe“, gedruckt 1997 als 6. Auflage, seines 1963 erschienen Buches: Die fünf Weltreligionen. Das Judentum hat er nicht dazu gezählt. Wir lesen auf Seite 29 unter der Überschrift „Die geschichtliche Entwicklung“: „Die alte Stadt Prayága (d. h. Opferstätte), welche die Mohammedaner mit dem uns geläufigem Namen ‚Allâhâbâd‘ (Wohnsitz Allâhs) belegten, ist der heiligste Ort Indiens, weil sich hier die beiden heiligen Ströme Ganges und Yamuná vereinigen. Das ist sinnbildhaft für den Hinduismus: er ist seinem Wesen nach selbst gleichsam der Vereinigungspunkt von zwei großen Entwicklungsströmen, die, aus verschiedenen Ursprüngen stammend, für ihren weiteren Lauf zu einer neuen Einheit verschmolzen: der eine dieser Ströme ist das Ariertum, das vor vier Jahrtausenden aus dem Norden nach Indien eindrang und es in sprachlicher und kultureller Hinsicht weitgehend umgestaltete, der andere Strom wird durch das bodenständige Element repräsentiert, das, in sich vielgestaltig, schon vor der arischen Einwanderung in Indien saß und bis heute seine Eigenart zu behaupten gewußt hat. Der schöpferischen Synthese dieser beiden Komponenten verdankt die indische Kultur ihre Entstehung; durch sie erhielt die indische Religion ihre einzig in der Welt dastehende Ausprägung.“

Ist das nicht hübsch, leichtgängig und einleuchtend geschrieben? Unter der Überschrift: „Die vorarische Zeit“ lesen wir auf Seite 31: „Die älteste Geschichte Indiens ist uns heute noch ein Buch mit sieben Siegeln. Ethnographen nehmen an, daß die ältesten Bewohner des vorderindischen Kontinents, der allerdings damals noch nicht seine heutige Gestalt hatte, Negride gewesen sind, die zu ihren Stammesgenossen in Afrika und Melanesien in räumlichem und genetischem Zusammenhang standen. Diese sollen dann durch aus dem Norden kommende Europide nach dem Süden und in abgelegene Gebiete abgedrängt und allmählich aufgesogen worden sein, so daß sie heute nicht mehr in reinem Zustande vorhanden sind. Unter den Europiden, die, in mehreren Wellen vorrückend, in dem weiten Lande ihren Wohnsitz nahmen, repräsentierten den am meisten entwickelten Typus die Vorfahren der heute noch im Süden dravidische Sprachen redenden grazilen braunen Völker. ... Noch vor fünfzig Jahren (also um 1913) ging die herrschende Ansicht dahin, daß erst die Arier eine höhere Kultur und Religion nach Indien gebracht hätten, daß die vorarischen Bewohner des Gangeskontinents aber kulturarme Primitive gewesen seien. Diese Vorstellung änderte sich von Grund auf durch die großen archäologischen Entdeckungen, die seit den Jahren 1921/1922 im Indusgebiet gemacht worden sind. In Mohenjo Daro (in der Landschaft Sindh) und in Harappa (im Panjâb) wurden damals die Ruinen großer Städte freigelegt. Die dort gefundenen geräumigen Bauten, kunstvollen Werkzeuge und formschönen Plastiken verraten einen Stand der Kultur, der dem der nur in Dörfern wohnenden Arier, die noch keine ausgebildete Technik und Kunst besaßen, hoch überlegen war. Diese sogenannte Induskultur weist eine auffallende Ähnlichkeit mit der gleichzeitigen Kultur Vorderasiens auf, trägt andererseits aber wieder so individuelle Züge, daß sie nicht als bloßer Ableger derselben betrachtet werden kann, sie ist deshalb als ein selbständiges Glied der internationalen Weltkultur des 3. Jahrtausends anzusehen. ... Während einige Forscher die Indusleute für Indogermanen halten, die nicht dem arischen Zweige, sondern einer älteren Gruppe dieser Sprachfamilie angehörten, nehmen die meisten an, daß sie Vorfahren der Draviden waren und als solche zu den Sumerern und vorindogermanischen Mittelmeervölkem in nähere Beziehung zu setzen sind.“

Ist das nicht entzückend erzählt? Warum kommt Helmuth von Glasenapp nicht auf die naheliegende Schlußfolgerung, daß nach den Ausgrabungsergebnissen die bisher erzählten Geschichten gründlich abgestürzt sind? Leider können wir ihn nicht mehr fragen. Wir können aber auf Seite 32 unter der Überschrift „Die Vedische Periode“ weiter lesen: „Die Arier, welche im 2. Jahrtausend v. Chr. über die Gebirgsstraße des Nordwestens in das Stromgebiet des lndus einwanderten und in ständigem Kampfe mit den Vorbewohnern sich den Nordwestzipfel Indiens unterwarfen, waren ein jugendfrisches Volk von Hirtenkriegern, die zwar schon etwas Ackerbau trieben, denen jedoch der Städtebau und ein höheres Kunstschaffen noch fremd war.“

Wir entschuldigen uns für das lange Zitieren. Wie gesagt, wir haben ein Taschenbuch mit hoher Auflage vor uns. Es hat einen anspruchsvollen Anhang: „Vergleichende Übersicht über Lehre und Brauchtum der Fünf Religionen“, „Vergleichende Zeittafel“, „Zur Aussprache der Wörter der Asiatischen Sprachen“, „Verzeichnis der Abkürzungen“, nach Abschnitten orientierte „Literatur“ und „Namen und Sachregister“. Ein „wissenschaftliches“ Buch in reinkultur also. Wir enthalten uns an dieser Stelle einer inhaltlichen Kritik. Wir stellen nur die schlichte Frage: woher kennt Helmuth von Glasenapp alle diese Geschichten, die er uns in diesem anscheinend anspruchsvollen Buch erzählt?

Also schauen wir ins Literaturverzeichnis. Für den ersten Abschnitt „Religionsgeschichte, Religionswissenschaft allgemein“ gibt es eine Dreiteilung. Die älteste erwähnte Quelle für den Teil „Gesamtdarstellungen“ datiert von 1920, für den Teil „Nachschlagewerke“ von 1956 und für den Teil „Quellen“ von 1908. Für den nächsten Abschnitt: „Brahmanismus und Hinduismus“ gibt es eine Zweiteilung. Aus Gründen, die wir nicht kennen. „Nachschlagewerke“ und „Gesamtdarstellungen“ sind zusammengefaßt. Darin ist die älteste erwähnte Quelle von 1891 und für „Quellen“ 1912. An keiner Stelle des Buches ist eine Quellenkritik zu finden. Ist denn für Helmuth von Glasenapp jedes gedruckt überlieferte Wort heilig? Welchen Nutzen soll eine Quellenkritik auch haben? Ist es nicht deprimierend, was als Wissenschaft verkauft wird? Wie sieht es in anderen „wissenschaftlichen“ Büchern aus? Wir haben bislang eine andere „wissenschaftliche Kultur“ nicht feststellen können. Deshalb haben wir uns vorgenommen, bevor wir uns mit der Erzählung eines „modernen Geisteswissenschaftlers“ auseinandersetzen, schlicht zu fragen, wer der Erzähler ist, wie er seine Brötchen verdient hat, wer seine Erzählungen fördert, wem seine Erzählungen Nutzen gebracht haben und wie seine Quellen aussehen. Das bisherige Ergebnis unserer Übung ist noch deprimierender. Aber alles der Reihe nach. Bei Helmuth von Glasenapp haben wir keine Urquelle entdecken können. Aber Kenntnisse über menschliche Rassen unterschiedlicher Wertigkeit sind ihm nicht fremd gewesen. Im Tausendjährigen Reich“ hat er keinen Karriereknick erleben müssen.

Angesichts dieser modernen Wissenschaftskultur, offenbart durch das Buch von Helmuth von Glasenapp, hat uns nicht weiter verwundert, daß in der neuesten Ausgabe dieses Buches Quellen angegeben werden, die nach 1963, also nach seinem Tod, überhaupt erst entstanden sind. Natürlich nicht Quellen, sondern neue Druckerzeugnisse. Aus dem Kleingedruckten können wir erfahren, daß es „eine Anzahl anderer Werke, vorwiegend jüngeren Datums, die für eine weitere Beschäftigung mit den fünf großen Religionen geeignet erscheinen“ gibt. Wir hätten gern gewußt, welcher „Geist“ diese ‚Anzahl anderer Werke‘ ausgewählt hat und ob dieser „Geist“ auch in dem Text herumgefummelt hat. Damit sich das Buch besser verkaufen läßt!

In einem „Standardgeschichtsbuch“ in Deutschland, Geschichte Indiens: von der Induskultur bis heute / Hermann Kulke; Dietmer Rothermund. – 2. Verbreiterte und aktualisierte Auflage, Beck, München 1998; erste Auflage 1982 –, liest sich der gleiche Erfindungsvorgang auf den Seiten 44–45 so: „Das zweite Jahrtausend v. Chr. wurde – nach dem Untergang der Induskultur – Zeuge eines weiteren bedeutenden Ereignisses der frühindischen Geschichte, als Gruppen zentral-asiatischer Nomaden, die sich in ihren Schriften ‚Arya‘ nannten, über den Hindukush nach Nordwestindien einwanderten. Im Jahre 1786 entdeckte William Jones, der Begründer der Asiatic Society in Calcutta, die enge sprachwissenschaftliche Verwandtschaft zwischen Sanskrit, der Sprache der Aryas, Griechisch, Latein, und den germanischen und keltischen Sprachen. Diese epochale Erkenntnis legte den Grundstein für die Erforschung der indo-europäischen Sprachgemeinschaft, zu der nach unserem heutigen Wissen weit mehr Sprachen zählen als Jones zunächst angenommen hatte. Seit dem späten 19. Jahrhundert setzte sich in der Forschung mehr und mehr die Überzeugung durch, daß der Ursprung dieser indo-europäischen Sprachfamilie in den Weiten der osteuropäischen und zentralasiatischen Steppe zu suchen sei (Diesen Entdecker William Jones nehmen wir als Merkposten auf.).

Die bedeutenden Erkenntnisse der frühen Sprachwissenschaftler über die engen linguistischen Beziehungen innerhalb der indo-europäischen Sprachfamilie wurden jedoch zunehmend von rassistisch–nationalistischen Ideologien überschattet, die den Ursprung der eigenen Nation in einer mystisch–arischen Rasse postulieren. Dies trifft seit dem 19. Jahrhundert besonders auf deutsche nationalistische Historiker und in etwas jüngerer Zeit auch auf nationalistische Historiker Indiens zu. Diese Entwicklung hatte in Europa verheerende Folgen und führte in jüngster Zeit auch in Indien zu heftigen Auseinandersetzungen zwischen Historikern und zu schweren kommunalistischen Unruhen. Im Kontext der frühen indischen Geschichte erscheint es daher geboten, in der deutschen Sprache von ‚Aryas‘ zu sprechen, um diese frühgeschichtlichen Sprachgruppen Nordwestindiens von dem neuzeitlichen, ideologischen Konstrukt der ‚Arier‘ als einer mystischen Urrasse der Indo–Europäer deutlicher als bisher zu unterscheiden.“

Ist diese Darstellung nicht um einige Grade zynischer als sie in der Encyclopaedia Britannica verbreitet wird? Stehlen sich diese „Historiker“ nicht aus der moralischen Verantwortung ihrer eigenen sogenannten wissenschaftlichen Tätigkeiten? Sie reden auch heute von ‚der indo–europäischen Sprachfamilie‘, sagen uns aber nicht, wer nicht dieser Sprachfamilie zuzurechnen ist. Sie tun so, als ob für sie das Problem mit dem Ende des „Tausendjährigen Reichs“ längst erledigt sei. Vor allem, wenn sie den Begriff „Arier“ aus ihrer Wissenschaft tilgen. Nicht ganz. Aber deutlich anders buchstabieren. Nun sollen die indischen Historiker mit dem Problem fertig werden. Geht es noch scheinheiliger?

Die eingewanderten „Arier“ bringen also die „arische“ Sprache „Protosanskrit“ mit nach Nordwestindien. Danach verfeinern sie ihre Sprache zu Sanskrit, erfinden die Sanskritschrift und überliefern uns eine Fülle von anspruchsvoller Literatur. Die auf diese Zeit und auf diese Region spezialisierten „modernen Historiker“ in Europa sind emsig damit beschäftigt, das Entstehungsdatum dieser in Sanskrit verfaßten umfangreichen Literatur zu bestimmen. Denn: was kann schon wichtiger sein, als das genaue Entstehungsdatum der einzelnen Schriften bestimmen zu wollen und darüber mit den Fachkollegen „wissenschaftlich“ zu streiten?

Seit der Entstehung des Jainismus und des Buddhismus vor etwa 2600 Jahren ist die Geschichte Indiens gut dokumentiert. Schon damals wird Sanskrit nicht mehr gesprochen. Die alten Schriften der Metaphysik, der Wissenschaften, der Geschichte, der Literatur wie Veden, Upanishaden, Puranas, Sutras und auch die epischen Bücher Ramayana und Mahabharata sind aber schon zu dieser Zeit, im 7. Jahrhundert v. Chr. bekannt. Also schließen die „modernen Wissenschaftler“ haarscharf, daß diese Fülle von Sanskritliteratur nur vor dem 7. Jahrhundert v. Chr. entstanden sein kann. So weit so gut. Die Eroberung bzw. Einwanderung ist aber erst um das 15. Jahrhundert v. Chr. datiert. Wie diese Datierung zustande gekommen ist? Wir halten diese Frage als Merkposten. Älter kann also demnach die überlieferte Sanskritliteratur nicht sein, weil ja Sanskrit die Sprache der eingewanderten „Arier“ ist.

Von den vier Veden soll der Rigveda der älteste sein. Denn im Rigveda findet keine Erwähnung der übrigen Veden statt. Rigveda soll auch die älteste aller Sanskritschriften sein, entstanden etwa 1200 Jahre v. Chr. Inwiefern wir durch diese „wissenschaftlich“ genaue Bestimmung, welche Bücher wann entstanden sind, besonders erleuchtet worden sind, können wir nicht beurteilen. Uns fehlen die Meßlatten dafür. Auffallend ist für uns nur, daß wir die Erzählungen der „modernen Historiker“ und Indologen über die Entstehung der Sanskritliteratur nicht nachvollziehen können. Es wäre ungerecht, an dieser Stelle nicht zu erwähnen, daß die Datierungsakrobatik auch unter diesen „Wissenschaftlern“ umstritten ist, also nicht nur unter unterschiedlichen fachlichen Disziplinen.
Woran sich bislang alle neuzeitlichen Wissenschaftler festhalten, ist der Tatbestand, daß so etwas wie eine „arische Eroberung“ oder eine „arische Einwanderung“ in Indien stattgefunden haben muß. Denn sonst wäre die Sprache „Sanskrit“ nicht nach Indien gekommen. Eine bestechende Logik, nicht wahr? Wo soll denn Sanskrit hergekommen sein? Wo hat es sonst noch Sanskrit gegeben? Wir wissen es nicht. Keiner sagt es uns. Auffällig ist aber der Tatbestand, daß die Erfinder der Theorie der „arischen Eroberung“ oder der „arischen Einwanderung“ selbst ihrer äußeren Erscheinung nach „arisch“ aussehen. Zufällig? Die eifrige Buddeler unter ihnen haben bislang leider nichts gefunden, das eine „arische Eroberung“ hätte andeuten können. Diese Faktenlage hat diese „arisch“ aussehenden „Wissenschaftler“ nur kurzweilig geschockt, aber ihnen ihre Theorie nicht vermiesen können. Denn die Buddeler haben doch die Einwanderung einer Sprache namens Sanskrit nach Indien nicht in Frage stellen können. Wie auch? Sanskrit ist in Indien tatsächlich da. Und die Präsenz von Sanskrit in Indien beweist, daß die „Arier“ zumindest in Indien eingewandert sind.

Und wie schon erwähnt, sind die „Arier“ groß, stark, hellhäutig, hellhaarig, blau– bzw. grauäugig. So wären sie durchaus in der Lage gewesen, Nordwestindien zu erobern, wenn ihre Einwanderung auf Widerstand gestoßen wäre. Und die Präsenz der „Arier“ in Indien steht auch jenseits jeden Zweifels. Jeder Einfaltspinsel, der Indien besucht, sieht doch die „nordische Rasse“ in Nordwestindien. Im Süden dagegen sind die Menschen kleinwüchsig, dunkelhäutig und dunkeläugig. Die den Ebenbildern der „Arier“ gleichenden Wissenschaftler sind besessen von der äußeren Erscheinung der „Arier“. Die „Arier“ sind, wie gesagt, groß, stark, hellhäutig, hellhaarig, blau– bzw. grauäugig, und Menschen mit diesen Erscheinungsmerkmalen sind natürlich auch anderen gegenüber „überlegen“. Deutet die Besessenheit dieser Wissenschaftler nicht auf einen dringenden Bedarf nach Identifikation eben mit diesen „Ariern“? Ist dieser Bedarf an Identifikation eher ein Zeichen der „Ich–Stärke“ oder der „Ich–Schwäche?

Jene angeblich den „Ariern“ unterlegene Rasse von Menschen hat auch einen Namen. Es sind die „Draviden“. Leider ist uns noch kein so herausragender „Forscher“ von der „Güteklasse“ eines Friedrich Maximilian Müller (auf ihn kommen wir ausführlich zurück) begegnet, der mit seiner durch das Studium der „dravidischen“ Literatur entwickelten Treffsicherheit nachweisen kann, daß auch die „Draviden“ sich in ihren frühen Schriften „Draviden“ genannt haben. Haben auch die „Draviden“ frühe Schriften? Haben sie Literatur überhaupt? Wir wissen es nicht. Wir sind jedoch erstaunt, daß die sonst so dynamischen, selbstbewußten und klugen „Arier“ offensichtlich sich selbst nicht mit den „Draviden“ verglichen haben, um das eigene Wir–Gefühl zu entwickeln. In keiner alten Sanskritschrift ist die Rede von zwei „Rassen“, noch von einer „Dravidenrasse“, noch überhaupt von Rassen.
Hätten die „modernen Wissenschaftler“ dieses Fehlen nicht merken und darüber nachdenken müssen? Wie dem auch sei. Wir sind noch nicht mit den uns erzählten Geschichten durch. Die „Arier“ fallen oder wandern in Indien ein, verdrängen die „dravidischen“ Bewohner nach Süden, werden seßhaft, entwickeln ihre mitgebrachte Sprache „Protosanskrit“ fast zur Vollendung, erfinden eine Schrift, verfassen Schriften von hoher kultureller Bedeutung, bringen diese Kultur zu den einst vertriebenen „Draviden“ und setzen die „arische“ Kultur im ganzen Land durch. Bei Helmuth von Glasenapp haben wir sogar den Hinweis bekommen, daß die „Draviden“ auch keine Ureinwohner Indiens sein sollen. Sie sollen in der frühen „frühgeschichtlichen“ Zeit aus ‚Afrika und Melanesien‘ nach Indien eingewandert sein. Wir wollen uns in diesen Streit nicht einmischen. Wir nehmen diese immer noch allseitig akzeptierte Markierung der frühen Geschichte dieser Region zur Kenntnis. Aber wir haben viele Fragen. Es versteht sich von selbst, daß wir in der „modernen wissenschaftlichen Literatur“ auf unsere Fragen keine Antworten gefunden haben. Es ist noch trauriger. Die meisten dieser Fragen sind noch gar nicht gestellt.

Wie soll beispielsweise das zahlenmäßige Größenverhältnis zwischen den erobernden bzw. einwandernden „Ariern“ und den nach Süden vertriebenen Einwohnern, den „Draviden“, gewesen sein? Können sich diese Wissenschaftler nicht vorstellen, daß je ungünstiger das Zahlenverhältnis der Eroberer oder der Einwanderer zu den Einheimischen gewesen ist, um so unwahrscheinlicher eine Vertreibung der ansässigen Einwohner vom Norden nach Süden gewesen sein muß? In großer Zahl können die „arischen Eroberer bzw. Einwanderer“ den Hindukush nicht passiert haben. Welche Wege standen den Auswanderern aus der Steppe nach Süden zur Verfügung? Wie ist die Beschaffenheit der Wege gewesen? Sind sie während ihrer Wanderschaft auch Menschen begegnet? Welchen? Welche Entfernung müßten sie zurückgelegt haben, bis sie den einzigen Paß, den Hindukush, gefunden haben?

Was ist über ihre Logistik bekannt? Welche Voraussetzungen für logistische Überlegungen könnten es bei den ihre Tiere Weidenden in der zentralasiatischen Steppe gegeben haben? Konnte es überhaupt welche geben? Werfen diese Historiker auch einmal einen Blick auf die Landkarte? Selbst wenn wir die Geschichte bis zur „Bevölkerungsexplosion“ bei diesen Nomaden akzeptierten, können wir uns nicht vorstellen, daß sie in der Lage gewesen sein sollten, auf unwägbarem Gelände zielbewußt eine Richtung zu halten. Hätten sie nicht zielbewußt eine Richtung eingehalten, würden wir rund um die zentralasiatische Steppe Nachfahren dieser „Arier“ finden. Bekanntlich ist dies nicht der Fall. Und schauen Nomaden nicht eher nach unten und gerade aus? Richtungsorientierung auf unbekanntem und in weitem unwägbarem Gelände aber setzt Kenntnisse über die Bewegung der Himmelskörper voraus. Wann haben Nomaden Zeit, viele Generationen lang Astronomie zu betreiben?
Und was hat Helmuth von Glasenapp uns zu berichten gewußt? Auf Seite 32 unter der Überschrift „Die Vedische Periode“? „Die Arier, welche im 2. Jahrtausend v. Chr. über die Gebirgsstraße des Nordwestens in das Stromgebiet des lndus einwanderten und in ständigem Kampfe mit den Vorbewohnern sich den Nordwestzipfel Indiens unterwarfen, waren ein jugendfrisches Volk von Hirtenkriegern, die zwar schon etwas Ackerbau trieben, denen jedoch der Städtebau und ein höheres Kunstschaffen noch fremd war.“

Statt zumindest einige der vielen offensichtlichen Fragen zu stellen, beschreiben „die Glasenapps“, wie unterschiedlich die beiden Rassen, „Arier“ und „Draviden“ ausgesehen haben. Wie gesagt, die „Arier“ sollen groß, stark, hellhäutig, hellhaarig, blau– bzw. grauäugig gewesen sein, die „Draviden“ kleinwüchsig, dunkelhäutig und dunkeläugig. Kann es wirklich an dieser äußeren Erscheinung gelegen haben, daß die „Draviden“ den „arischen“ Eroberern unterlegen gewesen sein sollen? Trotz einer großen Überzahl an Menschen „dravidischer Rasse“? Liegt nicht die Frage der zahlenmäßigen Größenverhältnisse näher als das äußere Aussehen der beiden vermeintlichen „Rassen“? Und wie können die „modernen Wissenschaftler“ überhaupt feststellen, wie das äußere Aussehen der beiden Menschengruppen vor 3500 Jahren gewesen sein soll? Gibt es ein nachvollziehbares Verfahren dafür? Kann es ein nachvollziehbares Verfahren geben?

Es ist unübersehbar, daß die Erfinder der beiden unterschiedlichen Rassen und deren Nachfahren nicht nur mit den „Ariern“ sympathisieren, sondern sie auch bewundern und sich mit ihnen identifizieren, d. h. auch mit den einzelnen dieser ihnen zugeschriebenen äußeren Merkmale. Diese Merkmale werden positiv bewertet und die positive Bewertung wird verinnerlicht. Anders ausgedrückt, projizieren die Erfinder der „zwei Rassen Theorie in Indien“ eigentlich ihr eigenes Ebenbild auf die angeblich überlegene Rasse und entwickeln mit ihr ein gemeinsames „Wir–Gefühl“ gegenüber den anderen, wer diese anderen auch sein mögen. Es sind eben „die Anderen“. Diese sind auf jeden Fall nicht groß, stark, hellhäutig, hellhaarig, blau– bzw. grauäugig. Und was nicht sein darf, ist auch nicht.

Nach der Herstellung des „Wir–Gefühls“ verselbstständigen sich die einzelnen äußerlich wahrnehmbaren Merkmale. Wir müssen uns nicht an die eindrucksvolle Begegnung von Hitler und Mussolini in der Inszenierung „Der große Diktator“ von Charles Chaplin erinnern, um die wuchtige Macht des verinnerlichten Wertes von groß = Größe zu verstehen. Die beiden Diktatoren sitzen bekanntlich auf Drehstühlen und jeder versucht beim Sprechen immer höher zu sitzen als der andere. Charles Chaplin muß zu diesem drastischen Stilmittel greifen, um die „Ich–Schwäche“ der beiden Diktatoren zu verdeutlichen. Wir haben das Glück der Spätgeborenen. Wir können auf die etwas klein Geratenen, wie beispielsweise die deutschen Politiker Franz Josef Strauß, Helmut Schmidt, Heiner Geißler oder Gerhard Schröder hinweisen, die stets auch von den Pressephotographen aus der Froschperspektive aufgenommen werden. Wir wollen nicht auch noch der Frage nachgehen, wie die Pressephotographen verinnerlicht haben, was sich gehört und was nicht. Politiker in herausragender Position müssen auch in der Länge herausragen. Sollte es einmal anders sein, warum sich nicht der Froschperspektive bedienen?

Wir belassen es bei dem Hinweis, daß jedes „Wir–Gefühl“ tatsächliche oder vermeintliche positive Eigenschaften voraussetzt, welche „die Anderen“ selbstverständlich nicht besitzen. Es spielt überhaupt keine Rolle, ob es nun Wissenschaftler, Publizisten oder Journalisten sind. Ob sie so etwas schreiben wie, 'im Kontext der frühen indischen Geschichte es daher geboten erscheint, in der deutschen Sprache von „Aryas“ zu sprechen, um diese frühgeschichtlichen Sprachgruppen Nordwest-indiens von dem neuzeitlichen, ideologischen Konstrukt der „Arier“ als einer mythischen Urrasse der Indo–Europäer deutlicher als bisher zu unterscheiden‘ oder auch nicht. Denn die zugeschriebenen äußerlichen Eigenschaften und deren Wertungen haben eine eigene eingebildete und verinnerlichte Erhabenheit und Überlegenheit gegenüber den anderen in Kopf und Bauch abgebildet.

Eigentlich sind ja die „Kleinwüchsigen“ nicht klein, sondern „unberechenbar und falsch“; dunkelhäutige Menschen sind eigentlich „finstere Gesellen“, nicht so offen wie hellhäutige. Und wenn sie auch noch eine dunkle Augenfarbe haben, wer möchte schon so einem begegnen, vom „Hereinholen“ in die „Wir–Gruppe“ ganz zu schweigen. Staatsbürgerschaft hin, Staatsbürgerschaft her. Eine Kultur, die sich seit Jahrhunderten dieses Bewußtsein der Überlegenheit der blond-blauäugig-weißen Menschen eingeprägt hat, muß auch so genannt werden, und wir müssen nicht länger hinnehmen, daß uns „Kulturwissenschaftler“ durch ihre Erfindung immer neuer Namen für diese Kultur verwirren. Etwas ist da noch hinzu gekommen, was die vermeintlichen „Arier“ nicht hatten: das Christsein. Sind die „Indoeuropäer“ nicht eben die christlichen Nachkommen der „Arier“, Produkte der blond-blauäugig-weiß-christlichen Kultur, deshalb auch zivilisierter als die „indischen Arier“? So ein bißchen auch überlegener?

Und eine Überlegenheit ist keine Überlegenheit, wenn sie nicht immerfort unter Beweis gestellt wird. Nicht anders verhält es sich mit den Übergriffen gegen jene Mitbewohner in Europa, „Amerika“, „Australien“, „Neuseeland“, die offensichtlich nicht blond-blauäugig-weiß-christlich sind. Also, nicht nur in Deutschland. Die öffentlichen Appelle der Promis gegen die Übergriffe? Ist es mehr als das Geschehene „abfeiern“? Nachzutragen bleibt noch, daß nicht alle Vorkämpfer dieser Kultur blond-blauäugig-weiß-christlich sein müssen. Wir haben noch nicht vergessen, daß Adolf Hitler oder Josef Göbbels „eintausend Jahre“ lang Prototypen nordischer „Arier“ in Deutschland gewesen sind. Damit kein Mißverständnis entsteht. Auch wir gehören zu dieser Kultur, obwohl uns die Grundmerkmale fehlen; aber die verinnerlichten „Werte“ können wir nicht ohne weiteres löschen.
Aber zurück zu den ursprünglichen „Ariern“, die alles angezettelt haben sollen. Sie sollen zwar einfach gestrickte Hirtenkrieger gewesen sein, denen‚'der Städtebau und ein höheres Kunstschaffen noch fremd war‘, die aber immerhin‚in das Stromgebiet des lndus einwanderten und in ständigem Kampfe mit den Vorbewohnern sich den Nordwestzipfel Indiens unterwarfen‘. Sie ‚waren ein jugendfrisches Volk von Hirtenkrigern‘. Eben! In welchem Zeitraum soll aber die Vertreibung der ursprünglichen Bewohner, die Konsolidierung des neuen Besatzungsgebietes und die Entwicklung einer eigenständigen Kultur stattgefunden haben? Wollen wir wissen. Fehlanzeige. Und dann noch die Ausbreitung dieser Kultur bis zur äußersten Südspitze dieser Region? Denn von jener Zeit an, als Vardhamana, der erste Mahavira, die Jainische Lehre und Siddharta Gautama die Buddhistische Lehre propagierten, ist die Geschichte Indiens belegt. Da hat keine „arische“ Invasion, Besetzung und Ausbreitung der Kultur in das verkleinerte „Draviden Land“ im Süden Indiens stattgefunden. Dies müßte also in jenem Zeitraum zwischen dem 15. und 7. Jahrhundert v. Chr. stattgefunden haben. Wieso wird in den umfangreichen Schriften in „arischem Sanskrit“ darüber nicht berichtet? Auch nicht einmal ein kleinster Hinweis?

Selbst wenn wir die Geschichte bis zur „Bevölkerungsexplosion“ bei den Weidewirtschaft treibenden Nomaden akzeptieren würden, müssen wir uns nicht fragen, welche Bevölkerungsteile für eine kollektive Auswanderung in Frage kommen konnten? Die „Wohletablierten“ oder die „Außenseiter“? Verweilen wir kurz bei dieser Einteilung der Gesamtbevölkerung. Bei welchem der beiden Teile ist die gemeinsame Sprache besser aufbewahrt: bei den Etablierten oder bei den Außenseitern? Wandern eher Außenseiter aus? Bewahren eher die Etablierten die eigene Sprache besser? Wenn also die „Arier“ „Protosanskrit“ nach Indien mitgebracht haben sollen, müßten wir denn nicht annehmen, daß die daheim gebliebenen ebenso „Protosanskrit“ gesprochen haben? Wenn die „Arier“ in der Fremde jene Fülle an Sanskritliteratur produziert haben, muß nicht die gleiche „Zucht“ daheim auch Literatur produziert haben? Welcher Fülle und welcher Qualität auch immer? Aber doch Literatur? Wo ist sie? Wo ist ihre Geschichte? Und warum haben die übrigen ausgewanderten „Arier“, die Griechen, die Römer, die Germanen und die Kelten, keine „Sanskrit ähnliche Literatur“ produziert?

Wir fragen nun, wie die „modernen Historiker“ all dies in Erfahrung gebracht haben, was sie uns auch heute noch auftischen. In dem bereits beispielhaft herangezogenen „Standardgeschichtsbuch“ von 1998 lesen wir über die Quelle ihres Wissens auf Seite 49: „Die Datierung der Texte und der sie tragenden Kulturen war lange Zeit auch unter westlichen Indologen heftig umstritten. Aufgrund astronomischer Angaben hatte der berühmte indische Freiheitskämpfer Bal Gangadhar Tilak Anfang dieses Jahrhunderts in seinem Buch «The Arctic Home in the Vedas» geglaubt, den Ursprung der Veden bis ins 5. und 6. Jahrtausend v. Chr. zurückdatieren zu können. Der deutsche Indologe H. Jacobi kam unabhängig davon zu ähnlichen Schlußfolgerungen und datierte den Beginn der vedischen Periode auf die Mitte des 5. Jahrtausends. Meist folgte man in der Datierung der vedischen Texte jedoch dem berühmten deutschen Indologen Max Müller, der im späten 19. Jahrhundert in Cambridge lehrte. Von der Lebenszeit des Buddha um 500 v.Chr. ausgehend, datierte er die Entstehung der Upanishaden, deren Philosophie ohne Zweifel der Zeit vor Buddhas Wirken entstammte, in die Jahrhunderte von 800 bis 600 v. Chr. Ihnen gingen die Brahmana– und Mantra–Texte in den Jahrhunderten von 1000 bis 800 bzw. von 1200 bis 1000 v. Chr. voran. Heute datiert man den ältesten vedischen Text, den Rigveda, in die Mitte des 2. Jahrtausends v. Chr. Da die Veden sehr bald nach ihrer Entstehung als göttliche Offenbarung nicht mehr verändert werden durften und in einer für unsere heutige Zeit unfaßbar genauen Weise in Priesterfamilien mündlich überliefert wurden, können sie nun, nachdem ihre Datierung zumindest in bestimmten Jahrhunderten als gesichert angesehen werden kann, als historische Quellen ersten Ranges für die Geschichte der vedischen Gesellschaft in Nordindien angesehen werden.“

Ist der Stil nicht beeindruckend? Der Abschnitt: „Einwanderung und Seßhaftwerdung der Aryas“, ja das ganze Buch, ist genau so beeindruckend geschrieben. Und so überzeugend. Es ist doch saubere wissenschaftliche Arbeit! Jeder Satz, jeder Absatz, einleuchtend präsentiert. Das Buch, vom ersten bis zum letzen Wort, ist ein Lehrbeispiel für die Qualität der „modernen Geisteswissenschaft“. Wer kann daran noch Zweifel haben? Der wichtigste Grundsatz dieser Wissenschaft ist: andere überzeugen, nein, andere „glauben machen“. Die Schwachstellen wo möglich so verpacken, daß sie erst gar nicht auffallen. Die übrigen möglichen Kritikpunkte sollen benannt, aber nicht behandelt werden. Ja, der ewige Platzmangel! Nicht wahr?

Zu Beginn der „modernen Geisteswissenschaft“ – so stellen wir uns vor – war das „glauben machen“ schwieriger. Aber heute ist die Methode der Manipulation perfektioniert. Nicht, daß die Wissenschaftler unserer Zeit schlauer geworden wären und sie ihre Botschaften gerissener verpackten. Nein. Wir verlernen immer mehr unsere Fähigkeit, die Manipulationen zu erkennen. Diese beginnen in der Familie. Das Prinzip Macht. Hauptsache, sich erst durchsetzen. Auf die Wahl der Mittel kommt es nicht an. Scheinheiligkeit ist Trumpf. Macht und Scheinheiligkeit setzen sich fort über die Schule, über die Betriebe, über die Subkulturen und ergreifen schließlich die gesamte Kultur. Die Massenmedien verstärken sie immerfort. Auf die eigentliche Wahrheit kommt es nicht an. Denn: wahr ist, was problemlos verkauft werden kann. Die Leute würden doch nichts kaufen, wenn es nicht wahr wäre. Oder? Haben wir die Kriegsberichterstattung über „Golfkrieg“, „Kosovo–Luftschläge“ und „Afghanistan–Kreuzzug“ schon verdrängt? Und die mit Uran angereicherten Geschosse?
Wir entschuldigen uns wegen dieser provokativen Sätze. Wir sind auch deshalb so zornig, weil wir lange Opfer dieser Manipulation gewesen sind. Es macht nicht viel Sinn, unseren Befreiungsweg in allen Einzelheiten zu beschreiben. Es könnte aber sinnvoll sein, daß wir den eben zitierten Absatz einmal gemeinsam lesen. Dieser Absatz ist beispielhaft. Wir lesen ihn einmal langsam Wort für Wort, Satz für Satz. „Die Datierung der Texte und der sie tragenden Kulturen war lange Zeit auch unter westlichen Indologen heftig umstritten (Was soll ‚war lange Zeit auch unter westlichen Indologen‘ in diesem Zusammenhang? Ist es wichtig zu wissen? Ist es nicht wichtiger zu wissen, warum 'lange Zeit auch unter westlichen Indologen heftig umstritten‘ gewesen ist? Ja, warum? Und was soll uns‚auch unter westlichen Indologen‘ besonderes mitteilen? Und alles im gleichen Satz? Warum wird uns nicht schlicht mitgeteilt, daß: ‚Die Datierung der Texte war lange Zeit unter Indologen heftig umstritten.‘ Und danach die Gründe. Ein Versehen?).

Aufgrund astronomischer Angaben (Sind diese Angaben richtig oder falsch?) hatte der berühmte indische Freiheitskämpfer (‚berühmte indische Freiheitskämpfer‘? Für was sollen wir nun programmiert werden?) Bal Gangadhar Tilak Anfang dieses Jahrhunderts in seinem Buch «The Arctic Home in the Vedas» geglaubt (‚geglaubt‘?), den Ursprung der Veden bis ins 5. und 6. Jahrtausend v. Chr. zurückdatieren zu können (hat Bal Gangadhar Tilak das inhaltlich nicht begründet?). Der deutsche Indologe H. Jacobi kam unabhängig davon zu ähnlichen Schlußfolgerungen und datierte den Beginn der vedischen Periode auf die Mitte des 5. Jahrtausends.“

Der ‚berühmte indische Freiheitskämpfer Bal Gangadhar Tilak‘ ist für uns nicht leicht greifbar. Wohl aber ‚der deutsche Indologe H. Jacobi‘. Hermann Jacobi (1850–1937) ist von Haus aus ein Mathematiker. Er promoviert 1872 über das Thema: „De astrologiae Indicae ‚Hora‘ appellatae originibus“. Auf deutsch würde es etwa heißen: Über die Ursprünge des Begriffs ‚Hora‘ in der indischen Astrologie. Er hat sich mit Jainischen Texten mit mathematischem und rechnerischem Hintergrund befaßt. Er ist des Prakrit und des Pali mächtig, beide später gesprochene Versionen von Sanskrit in der östlichen Region in Indien, im heutigen Bundesstaat Bihar vor 2600 Jahren. Bis zu seinem mittleren Lebensalter bleibt er Mathematiker und Naturwissenschaftler. Er hat auch eine Prakrit–Grammatik geschrieben. Er hat anläßlich einer Festschrift für den Indologen Rudolf von Roth einen Aufsatz über das Alter der Veden auf der Grundlage astronomischer Berechnungen geschrieben, den er 1908 auch in der Zeitschrift: „Journal of the Royal Asiatic Society“ veröffentlicht hat. In seiner veröffentlichten Biographie finden wir keinen Hinweis auf seine Sanskritkenntnisse. Mit diesem Hintergrundwissen erscheinen uns die nächsten drei Sätze in unserem beispielhaften Absatz in einem anderen Licht.

„Meist folgte man (warum ‚folgte man‘?) in der Datierung der vedischen Texte jedoch dem berühmten deutschen Indologen Max Müller, der im späten 19. Jahrhundert in Cambridge lehrte (War er berühmt, weil er als Deutscher im Cambridge lehrte, oder lehrte er in Cambridge, weil er berühmt war? Wurde er ‚Leithammel‘, weil er berühmt war, oder wurde er berühmt, weil er zum ‚Leithammel‘ aufgestiegen war? Wir hätten statt dessen lieber gewußt, wie dieser Indologe die Datierung der Veden begründet hat. Leider Fehlanzeige. Außerdem hat es nie einen 'deutschen Indologen Max Müller in Cambridge' gegeben.). Von der Lebenszeit des Buddha um 500 v.Chr. ausgehend, datierte er die Entstehung der Upanishaden, deren Philosophie ohne Zweifel der Zeit vor Buddhas Wirken entstammte, in die Jahrhunderte von 800 bis 600 v. Chr. Ihnen gingen die Brahmana– und Mantra–Texte in den Jahrhunderten von 1000 bis 800 bzw. von 1200 bis 1000 v. Chr. voran (Sind das Begründungen? Uns wird unterschoben, daß der berühmte deutsche Indologe Max Müller diese Texte meisterhaft lesen und beurteilen konnte, und daß aus diesen Texten hervorginge, wann die einzelnen Texte entstanden sind. Dem ist nicht so. Wir werden auf Friedrich Maximilian Müller, so heißt der „Max Müller“, auf seine Sanskritkenntnisse im besonderen und auf die Indologen im allgemeinen noch zurückkommen. Aber lesen wir weiter).

Heute datiert man (einfach so?) den ältesten vedischen Text, den Rigveda, in die Mitte des 2. Jahrtausends v. Chr. Da die Veden sehr bald nach ihrer Entstehung (was war davor?) als göttliche Offenbarung (Ist eine ‚göttliche Offenbarung‘ nicht immer an die Person gebunden? Wem wurde der Rigveda offenbart und von welchem Gott?) nicht mehr verändert werden durften und in einer für unsere heutige Zeit unfaßbar genauen Weise (welche Meßlatte gibt es hierfür?) in Priesterfamilien (‚Priesterfamilien‘?) mündlich überliefert wurden, können sie nun, nachdem ihre Datierung zumindest in bestimmten Jahrhunderten als gesichert angesehen werden kann (sind das Begründungen?), als historische Quellen ersten Ranges für die Geschichte der vedischen Gesellschaft in Nordindien angesehen werden.“

Wieso ‚Geschichte der vedischen Gesellschaft‘? ‚göttliche Offenbarung', ‚historische Quellen ersten Ranges‘ und ‚die Geschichte der vedischen Gesellschaft in Nordindien‘ begreifen wir auch nicht. Noch etwas ist uns bei diesem beispielhaften Absatz aufgefallen. Es wird mit positiv und negativ besetzten Adjektiven gearbeitet, wie: ‚lange Zeit‘, ‚westlichen Indologen‘, ‚heftig umstritten‘, ‚der berühmte indische Freheits-kämpfer Bal Gangadhar Tilak‘, ‚der deutsche Indologe‘, ‚meist folgte man‘, ‚dem berühmten deutschen Indologen Max Müller‘. Wir lassen uns durch die Überlegung nicht ablenken, ob die Anwendung von Adjektiven bewußt geschieht. Wir wissen, daß häufig genug solche Scheinüberlegungen eingestreut werden, um uns von wesentlichen Fragen abzuhalten. Beispielsweise kennen wir alle Auseinandersetzungen um Abhörprotokolle und deren oft widerrechtliche Veröffentlichung in vielen Ländern. Meist geht der öffentliche Streit um die Rechtmäßigkeit des Bekanntwerdens. Die wesentliche Frage bleibt ausgeblendet: Was können eigentlich honorige Politiker ihren politischen Freunden, Gegnern und leitenden Beamten denn gesagt haben, was die demokratische Öffentlichkeit nicht erfahren darf? Ablenkung als moderne Manipulationstechnik.

Wir entschuldigen uns an dieser Stelle für eine kleine Bosheit unserseits. Zu Beginn haben wir „arische Eroberer“ erwähnt. Später haben wir begonnen, „arische Eroberer bzw. Einwanderer“ zu erwähnen. Es sollte die Einstimmung für eine gemeinere Art von Manipulation durch die „Historiker“ sein. Der 2. Abschnitt in dem Buch Geschichte Indiens: von der Induskultur bis heute / Hermann Kulke; Dietmer Rothermund. – 2. Verbreitete und aktualisierte Auflage, Beck, München 1998; erste Auflage 1982“ ist betitelt: „Einwanderung und Seßhaftwerdung der Aryas“. Nun, „Einwanderung der Aryas“ ist ein Vorgang, der noch im ersten Viertel des 20. Jahrhunderts „Eroberung durch die Arier“ geheißen hat. Durch die Tücke der unterschiedlichen Fachdisziplinen der „modernen Wissenschaft“ sind die „Historiker“ und Indologen mit den Archäologen in mehr als einen Datierungskonflikt geraten. Die archäologischen Funde widerlegen die Eroberungstheorie insofern, als jene kaputten Trophäen als Beleg für die Niederlage der „Draviden“, leider schon kaputt gewesen sind, bevor die „Arier“ in der zentralasiatischen Steppe ihre „Bevölkerungsexplosion“ erleben und sich auf den Weg über den Hindukush, den einzigen Paß durch das Himalaja–Massiv gemacht haben sollen.

Damit müßten eigentlich nicht nur die Theorie der „arischen Eroberung“, sondern auch jene Theorie über Indien als ein Land von zwei Rassen zusammengefallen sein. Wenn nicht: ‚meist folgte man der‘ Wendefähigkeit der „Historiker“ und Indologen. Wenn nicht Eroberung, dann doch Einwanderung! Denn nur so kann der Fall der Theorie der überlegenen „arischen Rasse“ abgewendet werden. Sie sind nicht nur im Bauch schon immer von der eigenen Überlegenheit überzeugt. Es ist nicht auszudenken, was mit dem Fall der „arischen Rasse“ alles noch hinfällig werden könnte. Schöne Märchen! Aber wissenschaftlich verbrämt!

Außerdem wissen diese Meinungsmacher genau, wie tief das rassische Bewußtsein in dieser blond-blauäugig-weiß-christlichen Kultur verwurzelt ist, die immer noch auf der Suche nach einem unschuldigen Namen ist. Sie sind sich dessen sicher, daß auch wenn sie wiederholt von „Einwanderung“ sprechen, sich diese in den Köpfen der Angehörigen dieser Kultur doch als „Eroberung“ abbildet. Ihre Selbstsicherheit kennt keine Grenze. Sie brauchen nicht einmal beim Schreiben besonders darauf zu achten, daß ihre innerste Überzeugung von der Überlegenheit der „Arier“, deren Nachfahren sie ja sind, sich nicht durch Fahrlässigkeit nach außen kehrt. So können wir bereits auf Seite 50 des 2. Abschnitts lesen: „Der Sieg der Indo–Aryas über die einheimische Bevölkerung scheint, wie im Falle anderer erobernder Völkerschaften im Vorderen Orient, wesentlich auf ihrem hochentwickelten, zweirädrigen Pferdestreitwagen (ratha) beruht zu haben. Ihre Speichenräder waren so wertvoll und empfindlich, daß die Wagen bisweilen auf Ochsenkarren verladen wurden, um sie bis zum Beginn der Schlacht zu schonen. Die Landnahme der Aryas scheint sich dennoch nur schrittweise und langsam vollzogen zu haben. Der Grund hierfür dürfte zwar auch in der Weite des Landes und in der großen Zahl seiner schwer passierbaren Flüsse gelegen haben.

Schwerwiegender aber scheint der Widerstand der einheimischen Bevölkerung gewesen zu sein. Als dunkelhäutige Dasa oder Dasyu werden sie in den Texten immer wieder als die eigentlichen Widersacher der Eroberer genannt. Sie verteidigten sich auf befestigten Plätzen (purah, später = Stadt), die vornehmlich von mehreren Palisadenringen oder Wällen umgeben waren, oder sie zogen sich in die Berge in ihre Fliehburgen zurück. Zahlreiche Hymnen besingen den Gott Indra als den «Burgenbrecher» (purandara) und vom Somatrank berauschten Götterkönig der Aryas, der die Burgen stürmte und die Dasyu tötete.“

Abgesehen davon, daß sich die „Historiker“ und Indologen den archäologischen Befunden zum Trotz an der Rassenüberlegenheit der „Arier“ orientieren, fallen uns zwei andere, nicht weniger schwerwiegende Tatbestände auf. Es wird durch den Einwurf einfacher Sanskritwörter, der Eindruck erweckt, daß diese Wissenschaftler des vedischen Sanskrits mächtig seien. Ob dem so sein kann, werden wir noch untersuchen. Wir werden systematisch nachspüren, wie Sanskrit und das vedische Sanskrit oder das, was dafür ausgegeben wird, nach Europa gekommen ist.

Der zweite Aspekt ist noch deprimierender. Schwerwiegender aber scheint der Widerstand der einheimischen Bevölkerung gewesen zu sein. Als dunkelhäutige Dasa oder Dasyu werden sie in den Texten immer wieder als die eigentlichen Widersacher der Eroberer genannt.‘ Wir haben schon erwähnt, daß nach der Darstellung dieser Historiker und Indologen die „Arier“ groß, stark, hellhäutig, hellhaarig, blau– bzw. grauäugig gewesen sein sollen. Weil auch heute die äußeren Körpermerkmale positiv bewertet werden und diese Bewertung den Angehörigen dieser Kultur in Fleisch und Blut eingedrungen ist, werden wir ebenfalls nachspüren, seit wann Körpermerkmale für die Unterscheidung von Menschen überhaupt herangezogen werden und wo diese Unterscheidung ihren Anfang genommen hat.

Eine allerletzte Anmerkung über die trügerischen Künste der „modernen Geisteswissenschaftler“. Seit dem 3. Drittel des letzten Jahrhunderts buddeln Archäologen ganze Städte aus, die Jahrtausende unter der Erde verdeckt waren. Es sind geplante Städte. Mit zusammenhängenden Siedlungen, geraden Straßen, Spielfeldern mit Stadion, effizienter Wasserwirtschaft, öffentlichen Bädern, Abwasserkanälen, künstlichen Bewässerungsanlagen, Kanalsystemen, Trockendocks usw. an Bänken riesiger durch Dürre ausgetrockneter Flüsse. Die Städte hatten keine Paläste und keine Tempel. Eine ernsthafte Diskussion hätte zumindest über eine Frage längst beginnen müssen. Ist es denkbar, daß eine derartige Zivilisation ohne Sprache, ohne Schrift, ohne Literatur, ohne Wissenschaft, ohne Philosophie hätte existieren können? Fehlanzeige. Aber die Antwort auf diese Frage ist unzweifelhaft „nein“. Wo sind diese Kulturleistungen?

Und was wäre dann, wenn wir begründeten Zweifel haben müßten, daß Sanskrit die Sprache der ‚Arier, welche im 2. Jahrtausend v. Chr. über die Gebirgsstraße des Nordwestens in das Stromgebiet des lndus einwanderten und in ständigem Kampfe mit den Vorbewohnern sich den Nordwestzipfel Indiens unterwarfen, ein jugendfrisches Volk von Hirtenkriegern (waren), die zwar schon etwas Ackerbau trieben, denen jedoch der Städtebau und ein höheres Kunstschaffen noch fremd war‘, gewesen ist? Ja, was sollten wir dann sagen? Was müßten wir dann tun?

Der  Anstoss


Im Fachbereich Sozialwissenschaften der Universität Oldenburg wird zum Wintersemester 1996/1997 die Veranstaltung „Macht, Medien und Manipulation. Beispiel: Die Erfindung von ‚Indogermanen‘, ‚Indoeuropäern‘, ‚Ariern‘“ angekündigt. Es ist ein Projekt des „forschenden Lernens“, d.h. mit offenen Fragen die Suche beginnen und nicht entlang einer auf vorfabrizierten Theorien beruhenden Vorplanung das „Lernen“ üben.

Keiner hat ahnen können, daß das Seminar unter wechselnder studentischer Besetzung noch bis zum Wintersemester 2000/2001 fortgeführt werden muß. Immer auf Verlangen der Studierenden, wenn auch in wechselnder Besetzung – einige müssen aussteigen, andere kommen herein. Für die „neuen“ wird es immer zeitaufwendiger, das angesammelte Material, die Sitzungsprotokolle, Vorläufige Auswertungen durchzuarbeiten und erst danach Neues zu erforschen.

Als dann schließlich zu Beginn des Wintersemesters 2000/2001 über 35 Studierende an dem Seminar teilnehmen wollen werden wir nachdenklich. Ein Seminar des „Forschenden Lernens“ setzt einen überschaubaren Teilnehmerkreis von 5 bis 15 voraus. So wird in der ersten Sitzung das bislang Erreichte und die offenen Fragen ausführlich vorgestellt. Danach bleiben nur noch fünf übrig. Sie beschließen, ernsthaft Bilanz zu ziehen, einen Bericht zu schreiben und erst danach zu entscheiden, wie weiter geforscht werden kann. Im Verlauf dieser Arbeit bleiben nur noch zwei übrig. Diese beiden müssen keine Prüfung mehr machen.

Sie vervollständigen das angesammelte Material, um einen runden Überblick über das bislang Erreichte darzustellen. Erst bei dieser Auswertung des Materials wird klar, daß ohne die Beteiligung der Studierenden wechselnder Besetzung viele Fragen nicht ohne weiteres entstanden wären. Allen diesen Studierenden gebührt Dank. Sie haben ihren Anteil an diesem Buch.

Einer der beiden „Übriggebliebenen“ bedarf einer besonderen Erwähnung: Aldo Stowasser. Im Wintersemester 1997/98 kommt er im Alter von 71 Jahren als Gasthörer hinzu. Er ist geboren 1926 in Fiume, Italien (1947 umbenannt in Rijeka und von Jugoslawien annektiert, seit 1992 Kroatien), dreisprachig (Italienisch, Deutsch und Kroatisch) groß geworden. Er verfügt über solide humanistische und allgemeine Bildung. Er hat an der Universität Rom 2 Semester Philosophie und 2 Semester Jura studiert. Er blickt zurück auf Lebens– und Arbeitserfahrung in mehreren europäischen Ländern in so unterschiedlichen Tätigkeitsbereichen wie Touristik und Bankwesen. Er ist neugierig und für neue Erkenntnisse aufgeschlossen. Er stößt bald auf Ungereimtheiten in den wissenschaftlichen Materialien und den in den Biographien gerühmten wissenschaftlichen Leistungen. Dann will er es wissen, recherchiert geduldig und hartnäckig, liefert umfangreiche Beiträge. Er ist polyglott geblieben. Alle Übersetzungen aus den lateinischen, den italienischen, den französischen Urquellen hat er gemacht. Viele aus den englischen auch. An der Korrektur des Manuskripts hat er bis zur Drucklegung mitgearbeitet.

Unsere Vorgehensweise ist im Prolog beschrieben und begründet. Sollten in unserem Bericht über unsere Reise zu den Quellen Stolpersteine oder Verkürzungen vorgekommen sein, entschuldigen wir uns. Wir sind bei jedem notwendigen Schritt darüber erschrocken gewesen, daß unsere so einfach erscheinenden Fragen zu unzähligen Folgefragen geführt haben. Außerdem sind die Urtexte nicht widerspruchsfrei. Wir haben viele dieser Texte mehr als einmal lesen müssen. Unsere Stolperstellen haben wir durch Signale kenntlich gemacht. Diese sind in Klammern gesetzte Ausrufezeichen, Fragezeichen und Kurzkommentare. Dies zur Begründung unserer Entschuldigung.

Wir haben uns häufig darüber gewundert, warum wir auf viele der Fragen in diesem Buch nicht schon früher gekommen sind. Wären wir noch ein eingebundener Teil des Betriebes „Universität“ gewesen, wäre dieses Buch auch nicht zustande gekommen. Wie schon angedeutet, wir müssen keine Prüfungen mehr machen. Und wir sind jenseits des Drucks: veröffentliche oder verrecke.
Dr. Gisela Aich hat das Manuskript in jeder Phase kritisch begleitet.

Epilog: ein Zeitalter der Gehirnwäsch

Am Ende unserer unwegsamen Suchreise sind wir eigentlich nicht mehr so wütend auf uns selbst. Während der gesamten Suche hat uns die eine Frage gequält: wieso haben wir nicht schon viel früher gemerkt, was die „modernen Wissenschaften“ tatsächlich leisten und wert sind? Wieso haben wir erst so spät erkannt, daß diese nichts anderes als Diener der herrschenden Macht sind und mit der Wissenschaft nichts gemein haben? Wir hatten doch alle vermeintlichen Voraussetzungen und viele Möglichkeiten das zu erkennen. Am Ende unserer Suchreise sind wir etwas weniger gequält. Heute wissen wir, wie uns die ideologischen Scheuklappen verpaßt, bzw. wie wir einer Gehirnwäsche unterzogen wurden. Wir waren gute stramme „Wissenschaftler“.

Heute wundern wir uns manchmal, wie wir die lange, umfangreiche und mühsame Suche überhaupt durchgestanden haben. Aber diese Reise hat uns auch Mut gemacht. Immer, wenn wir fündig geworden sind, hatten wir die Bestätigung, daß keine Fälschung, keine Gehirnwäsche, keine Kontrolle über die Medien absolut ist. Bislang. Wer weiß, was uns das Gefummel mit den Genen noch alles bescheren wird, wenn wir nicht aufpassen. Und aufpassen müssen wir ohne Pause.
Aus einem weiteren Grund sind wir besorgt. Der sogenannte Fortschritt, auch im technologischen Bereich, macht es möglich, daß die „Roberto de Nobilis“, die „William Jones“, die „Franz Bopps“, die „Thomas Babington Macaulays“, die „Friedrich Maximilian Müllers“ unserer Tage sich bis zur scheinheiligen Unkenntlichkeit maskieren können. Sie schreiben immer weniger Briefe. Sie hinterlassen immer weniger belegbare Spuren. Wir vertrauen aber darauf, daß die „Macher dieser neuen Art“ nicht alle Spuren werden verwischen können. Nicht, weil sie ob ihrer Macht und dank ihrer willigen Helfer in den Medien sorgloser werden würden. Auch nicht, weil sie einige Spuren eventuell übersehen könnten. Nein. Unser Vertrauen gründet auf Grundsätzlicherem. Die „Macher“ sind kurzatmig, sie wissen selbst nicht, können nicht wissen, wo und was sie alles anstellen, bewirken und wo sie welche Spuren hinterlassen. Wir sollten nicht ihnen lauschen, wir müssen die Erde, die Welt genauer betrachten und nicht die schöne, bunte, berauschende virtuelle Welt. Und es wird immer wieder Spurensucher geben. Hoffen wir, daß wir immer mehr werden und dann keine mehr brauchen.

Auf unserer Suche haben wir selbst nicht außerhalb der Bibliotheken recherchieren müssen, wühlen müssen. Wir sind erstaunt, wieviel bereits gedrucktes Material es schon gegeben hat, die gefeierten „Gelehrten“, die Päpste und Götter der „modernen Wissenschaft“ unmißverständlich zu entblößen. Ihre kunstvoll ausgelegten falschen Fährten haben ihnen nicht genutzt. Daß sie sich häufig mit erfundenem Beiwerk geschmückt, sich zu höchsten Preisen veräußert und den Nachgeborenen viel Leid gebracht haben, billigen wir nicht. Aber wir mißbilligen absolut die Machenschaften derer, jener nachgeborenen „Gelehrten“, die die Untaten ihrer „Vorgänger“ gebilligt, ihre Ahnen gehuldigt und sie schamlos genutzt haben, sich selbst zu Markte zu tragen. Rücksichtslos. Mit moralischem Gehabe. Und sie wirken in den Schulen, in den Hochschulen, in der Öffentlichkeit, in den Medien und vernebeln das Bewußtsein der Jugend mit „staatlicher Lizenz“.

Wie dreist dabei vorgegangen wird, offenbaren folgende wenige Beispiele. Nehmen wir den uns sattsam bekannten Thomas R. Trautmann (Ph. D. London 1968), Professor für Geschichte und Anthropologie der Universität von Michigan. Er ist der Verfasser jenes 1997 in der „University of California Press, Berkeley / Los Angeles / London“ gedruckten Buches Aryans and British India. Wie wir schon wissen, ist er ein Lieblingsschüler des international bekannten „Historikers“ Arthur Llewellyn Basham, dem Aryans and British India von Thomas R. Trautmann auch gewidmet ist: ‚In memory of A. L. Basham, British Sanskritist historian of India, guru, friend’. Hier wollen wir nicht ihr sonderbares Verständnis von Wissenschaft aufwärmen. Die eloquente, elegante und die mit vielen fremdsprachigen Ausdrücken geschmückte Sprache des Thomas R. Trautmann hat uns neugierig gemacht. Wir wollen wissen, wer er ist. Weil er noch keine persönlichen schriftlichen Spuren hinterlassen hat, müssen wir selbst recherchieren.

Von einem Doktoranden (den Namen erwähnen wir besser nicht) der Universität von Kalifornien im Fach Indologie erfahren wir: „Ich bin nicht sicher über seine Sanskritkenntnisse, aber ich meine, sein professioneller Standard ist ausgezeichnet, weil Michigan hier in den USA gewiß hohe Achtung genießt und sein letzes Buch (1997, siehe unten) ist sehr gut (but I would imagine his professional standing is excellent, as Michigan is certainly highly regarded here in the U.S., and his last book [1997, see below] is very good.). Er hat sich in der alten Geschichte Indiens, in der Geschichte der Orientgelehrten in Indien, in der Geschichte der Anthropologie und Verwandtschaft, und in der Sekundärforschung spezialisiert. Er lehrt gern Ideengeschichten und über das Verhältnis von Anthropologie zur amerikanischen Kultur. Er ediert die Zeitschrift: Comparative Studies in Society and History. Seine Bücher sind: Kautilya and the Arthasastra (1971), Dravidian Kinship (1981), Lewis Henry Morgan and the Invention of Kinship (1987), The Library of Lewis Henry Morgan and Mary Elizabeth Morgan mit Karl Sanford Kabelac (1994) und Aryans and British India (1997). Er ist auch Verfasser einiger Artikel, darunter insbesondere: ‚The Revolution in Ethno-logical Time’ in “Man” (1992) und ‚Hullabaloo about Telegu’ in “South Asia Research” (1999).” An sich beeindruckende Angaben zu Thomas R. Trautmann von einem werdenden „Trautmann“. Wahrscheinlich.

Uns genügen diese Angaben nicht. Wir wollen am 23. Dezember 2000 von Thomas R. Trautmann selbst wissen, in welchen indischen Sprachen er in der Lage ist zu kommunizieren (lesen, schreiben und sprechen) und wie er diese gelernt hat. Er hat eine „Visitenkarte“ im Internet. Er reagiert nicht. Am 18. Februar 2001 bringen wir uns wieder elektronisch in Erinnerung. Weil er nun annehmen muß, daß sich die Sache nicht von allein erledigen wird, schreibt er uns am 21. Februar schlicht, daß er sich nicht erinnern könne, daß wir uns kennen würden. Wieso stellen wir solche Fragen? Also, fordert er uns auf, uns zu legitimieren. Wir tun es. Er prüft unsere Legitimation. Nach dieser Prüfung gibt er uns am 26. Februar Auskunft per e–Mail: „Ich studierte für ein Jahr Soziologie im neuen Institut von M. N. Srinivas der Delhi Universität und dann machte ich meinen Ph. D. in der alten Geschichte Indiens bei A. L. Basham an der Universität von London, wo ich auch Sanskrit und Tamil studierte. Mein Lebenslauf ist auf der web. Ich hoffe, damit haben Sie die erwünschten Informationen. Alles gute für Ihre Projekte, die interessant und wichtig sind.“

Elegant will er unseren Fragen ausweichen. Am 4. März müssen wir ihm mitteilen, daß wir seiner „Webseite“ nicht haben entnehmen können, für wie lange er in England Sanskrit und Tamil gelernt hat, ob er auch fließend Sanskrit und auch vedisches Sanskrit liest und ob er auch Tamil lesen, schreiben und sprechen kann. Angesichts seines Artikels, ‚Hullabaloo about Telegu’, stellen wir ihm auch eine an sich durchsichtige kleine Falle. Wir erkundigen uns, ob er auch Telegu sprechen würde, weil wir für einen Dokumentarfilm über den Meenakshi Tempel in Madurai noch Interviewpartner suchten.

Schon am 5. März läßt er uns wissen: „Ich habe in England Sanskrit studiert, und kann es mit einem Wörterbuch auf dem Ellbogen lesen. Ich habe Telegu nicht studiert, aber tat doch ein wenig Tamil. Ich habe ein Jahr in Chennai gelebt und aktuell arbeitete ich im Staatsarchiv von Tamil Nadu. Ich habe nur kurz Madurai besucht. Beste Wünsche, Tom Trautmann“

Natürlich hat uns seine Antwort nicht gereicht, auch deshalb, weil er die durchsichtige Falle als solche nicht erkennt. Er hätte eigentlich zurückfragen müssen, was der Meenakshi Tempel im tamilsprechenden Madurai mit „Telegu“ zu tun hätte. Also, am 8. März haben wir wieder kurz nachgehakt: "Vielen Dank für Ihre Mail. Hatten Sie Gelegenheit den Meenakshi Tempel zu besuchen? Vieles spricht dafür, daß dieser Tempel einer der ältesten in Indien ist. Und seine Geschichte muß noch erforscht werden. – Für wie lange und wie intensiv haben Sie in England Sanskrit studiert? Wie ist Ihr Deutsch? Danke und beste Grüße."

Am gleichen Tag „mailt“ er zurück. Etwas gereizt: „Wenn Sie jemanden suchen, der fließend Telegu spricht, sollten Sie sich an einen der Studenten von Narayana Rao in Wisconsin – wie Philip Wagoner oder Cynthia Talbot wenden. – Ja, ich habe den Meenakshi Tempel besucht. Was ist da Besonderes, was für Sie von Interesse ist? Freundliche Grüße. Tom Trautmann.“

Am 12. März haben wir zurückgeschrieben: "Hoffentlich sind Sie nicht gereizt. Als Sozialwissenschaftler stellen wir immer Fragen, so einfach und so genau wie möglich formuliert. Sie müssen es gemerkt haben, daß wir mit Ihnen ein Gespräch suchen. Wir haben Ihre Hilfe nicht ersucht, um jemanden mit Telegukenntnissen zu finden. Wäre es so, würden wir ohne Umschweife Sie darum gebeten haben. In unserer letzen „Mail“ haben wir von Ihnen wissen wollen, für wie lange und wie intensiv Sie Sanskrit in England lernten und wie Ihr Deutsch ist. Was ist an diesen beiden Fragen falsch?

Nun haben Sie uns etwas gefragt. Wir versuchen kurz darauf zu antworten. Sie wissen sicherlich, daß die alte Stadt Madurai seit 2400 Jahren in vielen Dokumenten erwähnt wird: im alten epischen Werk Ramayana und in Kautilya's Arthashastra (Finanzwissenschaft); Megasthenes („302 v. Chr.“), Plinius („77 n Chr.“) und Ptolomäus („140 n. Chr.“) erwähnen Madurai als die Residenzstadt des Königreichs der Pandyas. Auch heute dominiert der Meenakshi Tempel das Stadtbild. Die Straßen sind um den Tempel ausgelegt. Die Stadt ist durch Jahrhunderte gewachsen, aber der Tempel ist das Zentrum, das Herz der Stadt geblieben. Und dann die vollkommenen architektonischen Proportionen des Gesamtkomplexes des Meenakshi Tempels wie auch die Perfektion des ursprünglich bescheidenen Baus, dessen Lage und Form den „Agamischen“ Leitlinien folgte. – Dieser Tempel ist schon immer der Meenakshi (ein anderer Name für Parvati) und dem Sundareswarar (ein anderer Name für Shiva) gewidmet. Und dies ist bemerkenswert. Meenakshi und Sundareswarar sind Sanskritnamen, beide sind vedische Charaktere. Nun, Sanskrit soll die Sprache der „Arier“, der „Indogermanen“, der „Indoeuropäer“ gewesen sein, und Sanskrit soll durch die „arischen Eroberer“ – nach der Vertreibung der „Draviden“ von Norden nach Süden – in das Land der „Draviden“ eingeführt worden sein. Demnach haben die „Draviden“ eine Sanskritähnliche-Sprache nicht gekannt. Daraus würde folgen, daß zwischen der Invasion der „Arier“ vor etwa 3500 Jahren und der Gründung des Meenakshi Tempel vor 2400 Jahren die „arischen Eroberer“ auch den Süden des Landes eroberten, über alle „Draviden“ herrschten, diese konvertierten und in die „arische Kultur“ assimilierten. Wann sollte dies geschehen sein? – Mit Erstauen haben wir registriert, daß der Meenakshi Tempel weniger als nur unerforscht ist. Es ist um so mehr verwunderlich, weil er in Indien einer der meist besuchten Tempel ist. In diesem Tempelkomplex sind die Unterschiede im Stil der Kunst– und der Architektur so offensichtlich, daß sie auch jedem Laien auffallen. Obwohl auch in Madurai eine komplette Infrastruktur zur Forschung – auch eine Universität – vorhanden ist, bleibt der Meenakshi Tempel fast unerforscht. Wir haben viele indische Gelehrte auf diesen Widerspruch aufmerksam gemacht. Schweigen in Verlegenheit. Eine beiläufige Bemerkung schien uns zunächst witzig. Aber kurz danach, und später hat uns diese Bemerkung immer mehr beschäftigt: „Vielleicht ist dieser Tempel für historische, architektonische und Kunstforschung zu kompliziert. Und es gibt so viele andere Tempel, um sich beschäftigt zu halten.“ – Hoffentlich haben wir nicht zu viel Ihrer Zeit beansprucht. Wir sehen Ihrer Antwort zu unseren beiden an sich einfachen Fragen entgegen."

Am 26. März haben wir uns letztmalig in Erinnerung gebracht. Vergeblich. Thomas R. Trautmann hat sein Geheimnis nicht gelüftet, für wie lange und wie intensiv er in England Sanskrit gelernt hat, um sich jene Fertigkeit anzueignen, die er selbst so hübsch beschrieben hat: ‚mit einem Wörterbuch auf dem Ellbogen (Sanskrittext zu) lesen‘. Oder hat er doch sein Geheimnis gelüftet?

Sein ‚guru (und) friend A. L. Basham, British Sanskritist historian of India' haben wir nicht fragen können. Er ist 1986 gestorben. Sein Werk The wonder that was India, Macmillan Publishers Ltd., London, hat ihn weltbekannt gemacht. Nicht gleich nach der Erstveröffentlichung in 1954, also sieben Jahre nach der „Unabhängigkeit“ Indiens. Eine neue und revidierte Ausgabe des Werkes kommt 1963 heraus. Dann 1967 eine nur revidierte Ausgabe. Den Durchbruch bringt der indische Verlag Rupa & Co., New Delhi, mit einer Paperback–Ausgabe 1981. Danach geht es Schlag auf Schlag. Auch Macmillan Publishers Ltd., London, wittern ein Geschäft. Europäische Leser könnten entdecken wollen, warum das Buch in Indien ein so großes Geschäft geworden ist. Also bringt der Verlag 1985 auch eine Paperback–Ausgabe heraus. Und wir als Spätzünder halten die 37. Ausgabe des indischen Verlags von The wonder that was India in den Händen, 568 Seiten. Auch diese 37. Ausgabe enthält ein zweiseitiges Vorwort, das Arthur Llewellyn Basham 1953 in London geschrieben hat. Das Vorwort beginnt mit dem Satz: „Dieses Buch ist geschrieben, um die alte indische Zivilisation so zu interpretieren, wie ich sie verstehe, für den gewöhnlichen westlichen Leser, der wenig Kenntnis der Materie, aber etwas Interesse daran hat. ... Da sich dieses Buch an die allgemeine Leserschaft richtet, habe ich so weit wie möglich versucht, nichts unerklärt zu lassen. ... Ich habe versucht, die Sanskritausdrücke auf ein Minimum zu reduzieren, aber der Leser ohne Hintergrundkenntnisse wird Definitionen aller im Text verwendeten indischen Wörter im Index finden, der auch als Glossar dient. ... Wörter auf Sanskrit, Prákrit und Páli wurden nach dem derzeit bei den Indologen gebräuchlichen System übersetzt; ... Die Übersetzungen sind, außer wenn besonders angegeben, meine eigenen. Für diese erhebe ich keinen Anspruch auf großes literarisches Verdienst, und ich war nicht in der Lage, die unübersetzbare Zauberformel der Originaltexte wiederzugeben. Es sind in den meisten Fällen keine buchstäblichen Übersetzungen, da die Eigenschaften der indischen klassischen Sprachen jenen der englischen so unähnlich sind, daß eine buchstäbliche Übersetzung bestenfalls stumpfsinnig, schlimmstenfalls tatsächlich lächerlich würden. Stellenweise habe ich mir etwas Freiheit gegenüber den Originaltexten genommen, um ihren Sinn für den westlichen Leser klarer zu machen, habe aber in allen Fällen versucht, die Absichten ihrer Autoren, so wie ich sie verstehe, ehrlich zu interpretieren.“

Arthur Llewellyn Basham entpuppt sich als Musterschüler so unterschiedlicher Lehrmeister wie William Jones, Franz Bopp, Friedrich Maximilian Müller. Aber im Gegensatz zu seinen Lehrmeistern hat er ohne Umschweife beschrieben, daß es ihm nur darauf angekommen ist, seine Version der Geschichte Indiens unter die Leute zu bringen. Ob seine Version der Geschichte auch stimmt? Kommt es darauf an? Die wirkliche Geschichte wäre eh zu langweilig. Deshalb sind auch „kleine Freiheiten“ im Umgang mit dem Original unvermeidlich. Nur hätten wir gern gewußt, von welchen Originaltexten er geredet hat. Seiner Bibliographie können wir entnehmen, daß für Arthur Llewellyn Basham die Geschichte Indiens mit den Erzählungen Sir Williams beginnt. Was William Jones und seine Nachfahren nicht erzählt haben, gibt’s auch nicht, hat es auch nicht gegeben.

Obwohl es ihm genügt, sich auf Veröffentlichungen im 20. Jahrhundert zu stützen, macht er in seinen bibliographischen Angaben nach dem 1. Abschnitt einen Unterschied zwischen Bibliographie und Verweisung. Ein billiger Taschenspielertrick. Damit erweckt er den Eindruck, daß er die „Verweisungen“ auch tatsächlich kennt. Dem scheint nicht so zu sein. Arthur Llewellyn Basham bringt dafür selbst keinen Nachweis in seinem Buch. Der erste Abschnitt ist betitelt: „Einleitung: Indien und seine alte Kultur. Das Land Indien: Die Entdeckung des alten Indien: Der Ruhm des alten Indiens (Introduction: India and her Ancient Culture. The Land of India: The Discovery of Ancient India: The Glory of Ancient India)“. Sein Wissen bezieht er aus Büchern, die nach 1913 publiziert worden sind. Seine älteste Quelle ist die seines Lehrers, L. D. Barnett, Indisches Altertum (Antiquities of India), London 1913. Arthur Llewellyn Basham ist 1914 geboren. Wie gesagt, wir haben in der 37. Ausgabe des indischen Verlages “Rupa” & Co. von 2001 gelesen. Thomas Babington Macaulay würde wahrscheinlich fröhlich auferstehen, könnte ihm diese Kunde der Massenverbreitung dieses Buches in Indien mit dem Titel The Wonder that was India überbracht werden.

Oder nehmen wir das Beispiel Garland Cannon, der seinen „William Jones“ sein Leben lang vermarktet hat. Wohlgemerkt: zu unserer Zeit. Wer hält ihn aus? Welchen Interessen dient er? Wer sind bei diesem Geschäft die Gewinner, wer sind die Verlierer? Bevor dieser Biograph überhaupt das Leben William Jones beschreibt, zündet er Nebelkerzen. Im Vorwort beschreibt er, wie Sir William Jones und seine Frau, Anna Maria, in Kalkutta beschaulich einen Nachmittag im Jahr 1784 verbringen, in die Gegend schauen und über den Zeitgeist von damals still vor sich hin sinnen. Angeblich auch über die „Menschenrechte“ (human rights) für die Inder. Natürlich lüftet er seine Informationsquellen nicht. Welche Art von Quellen hätte diese Information auch haben können? Nur Phantasien eines Biographen? Wie ist das Verhältnis eines Biographen zu der Person, deren Biographie er schreibt in der blond-blauäugig-weiß-christlichen Kultur? Wer verewigt wen? Wer zahlt den Preis?

Garland Cannon bejubelt William Jones als Anwalt der „Menschenrechte“. Welcher Menschenrechte? Rechte welcher Menschen? William Jones hat sich um die East India Company verdient gemacht. Die East India Company hat Indien kolonisiert. Das heißt: Plündern, Schlachten, Morden, Vergewaltigen, Entrechten, Ausbeuten. Ein „Menschenrechtler“ William Jones? Wie paßt das zusammen? Ein Humanist der blond-blauäugig-weiß-christlichen Kultur? Wann wurde der Begriff „Menschenrechte“ (human rights) erfunden? In welchem Zusammenhang? Von wem? Wem hat der Begriff genutzt? Und wer hat draufzahlen müssen?

Oder nehmen wir die schon angekündigte Gehirnwäsche des Jawaharlal Nehru, des ersten Ministerpräsidenten der „Republik Indien“ und betrachten wir sein Beispiel im Zusammenhang. Lady Anna Maria verträgt die Tropen nicht. Ärzte raten ihr zu einer kälteren Klimazone. Sie will aber nicht Sir William im unwirtlichen Kalkutta allein zurücklassen. Sie haben ausgerechnet, bis 1790 genug Geld gespart zu haben, um sich in England ein bequemes Leben einrichten zu können. Sie wollen gemeinsam 1790 zurückfahren. Aber 1790 bekommt Sir William ein Angebot, seinen Vertrag um weitere 4 Jahre zu verlängern. Er tut es. Lady Anna Maria muß aus gesundheitlichen Gründen allein vorzeitig nach England zurückkehren. Sie bleibt kinderlos. Sir William verdient viel Geld, bleibt aber begraben in Kalkutta. 1794.

Eigentlich ein jämmerliches Leben eines gierigen, rücksichtslosen Hochstaplers und Glücksritters, dem es nicht gelingt, die geraubten Früchte auch in Ruhe zu verzehren. Lord Clive läßt grüßen. Aber die blond-blauäugig-weiß-christliche Kultur ist mächtig und propagiert eigene Wertmaßstäbe. Generationen lang bezichtigen die Nachkommen der Massen– und Völkermörder andere des Mordes und hämmern uns diese Bezichtigungen in den Medien – Medien, die sie mit aller Wucht in Besitz gebracht haben – so lange durch Journalisten und Publizisten ein, bis unser Kopf erschöpft ist. Journalisten und Publizisten, die schon so professionell sind, daß sie ihre „vorauseilende“ Verpfändung des Kopfes nicht mehr merken. Gegen gute Bezahlung, versteht sich. In dieser virtuellen Welt sehen und hören wir nichts anderes. Daher wissen wir nichts anderes. Und: wir sind, was wir wissen.

Erfinder, Hersteller, Verbreiter und Anwender der Massenvernichtungsmittel verdächtigen andere, sie könnten solche Mittel in Besitz bekommen und anwenden. Als vorbeugende Verteidigung attackieren sie andere Länder vorauseilend flächendeckend mit Massenvernichtungsmitteln wegen angeblicher Gefährdung der Menschheit eben durch Massenvernichtungsmittel. Uns holen wieder der 1. und der 2. Weltkrieg, Hiroshima, Nagasaki, Vietnam, „Neutronenbombe“, „Golfkrieg“, Kosovo, Afghanistan und Irak ein. Menschenschlächter stilisieren sich hoch zu Menschenrechtlern. Und unser Gedächtnis schrumpft.

Aber der erste Ministerpräsident des unabhängigen Indiens, Jawaharlal Nehru, hatte die „Weltgeschichte“ nur bis Nagasaki gelernt, als er 1946 in Entdeckung Indiens (The discovery of India) geschrieben hat: „Jones und vielen anderen europäischen Gelehrten ist Indien zu tiefem Dank für die Wiederentdeckung seiner alten Literatur verpflichtet.“ Garland Cannon setzt noch eins darauf (S. 154): „Zu guter Letzt hatte er anscheinend den Schlüssel für die gerechte Ausübung kolonialer Macht im Orient entdeckt, wofür das indische Volk Europa ewig lieben und danken sollte (At last he [Sir William] had seemingly discovered the key to a just colonial government in the Orient, for which the Indian people should forever love and be grateful to Europe.).“

William Jones stirbt 1794 in Kalkutta, aber die von ihm gegründete „Asiatick Society of Bengal“ lebt in seinem Geist noch Jahre weiter. Sie produziert reichlich gedrucktes Papier, das in Indien und in England intensiv gelesen und verinnerlicht wird. Am 15. Oktober 1800 wird ein weiterer „William Jones“ geboren: Thomas Babington Macaulay (1800–1859). Er wird sich nicht nur zum „Gottvater“ der Theorie der „Arischen Rasse“ entwickeln. Kein Wunder. Sein Vater Zachary Macaulay (1768–1838), so berichtet der Chambers’s Biographical Dictionary, soll als „west–indischer“ Händler ein bewegtes Leben (chequered career) geführt haben, aber besser bekannt gewesen sein als ein „Abolitionist“ und als ein Mitglied der „Clapham–Sekte“. Die Encyclopaedia Britannica bringt etwas mehr Licht in das Leben des Zachary Macaulay. Er ist Sohn eines presbyterischen Priesters von den Hebriden, hat nicht nur eine bewegte Biographie als Händler in „West–Indien“, sondern auch als britischer Kolonisator. Er war Gouverneur in Sierra Leone, einem Stützpunkt für den Sklavenhandel. Vielleicht deshalb wird Thomas Babington im Haus seines Onkels in Leicestershire geboren. Wie all das zusammenpaßt? Es lohnt sich, sich darüber Gedanken zu machen. Seine Mutter war die Tochter eines Buchhändlers in Bristol, eine Quäkerin.

Thomas Babington ist das älteste von neun Kindern. 8jährig soll er ein Kompendium der Universalgeschichte und ein Gedicht über „The Battle of Cheviot“, ein romantisches Gedicht im Stile von Sir Walter Scott, geschrieben haben. Auch William Jones war schon als 4jähriger ein Genie! Thomas Babington kommt 1812 in eine Privatschule in Little Shelford in der Nähe von Cambridge, dann 1814 nach Aspenden Hall in Hertfordshire. Er ist außergewöhnlich frühreif, beginnt seine Ausbildung 1818 im Trinity College, Cambridge, wird bekannt als Endlosredner und kongenialer Kumpel unter herausragenden jungen Männern in Cambridge (where he gained a reputation for inexhaustible talk and genial companionship in a circle of brilliant young men.). 1822 hat er sein B.A., studiert Jura ohne Begeisterung, schreibt Gedichte. 1823 wird ein weiterer “William Jones” in Dessau, Friedrich Maximilian Müller, geboren. 1825 wird Thomas Babington bekannt durch einen Essay über Milton in der Edinburgh Review. 1826 wird er als Rechtsanwalt zugelassen, praktiziert aber nie ernsthaft (was called to the bar in 1826 but never practised seriously).

Als sein Vater pleite macht, muß er die ganze Familie ernähren. Zunächst als Privatlehrer, durch Schreiben und von den Einkünften aus einem unteren Regierungsposten. Aber im Gegensatz zu William Jones schafft er 30jährig die Mitgliedschaft im Unterhaus für die Whigs von Calne in Wiltshire. Als eloquenter Redner in einer Zeit voll von mächtigen Rednern (in an age of great orators) wird er zum Sekretär des „Board of Control“ der East India Company berufen. Er steigt rapide auf. Seine Ambitionen auch.

Wir wissen wie er im Parlament an ein Gesetz bastelte, das ihm einen lukrativen Posten eines Rechtsberaters im „Supreme Council of India“ einbringt. In der Encyclopaedia Britannica wird es später heißen: “Macaulay akzeptierte die Einladung auf den neu geschaffenen Posten im Supreme Council of India zu dienen, voraussehend, daß er von seinem Gehalt genug Geld für das spätere Leben wird sparen können“. Salär 10000 Pfund. Geschichtsfälschung? Wie auch immer! 1834 segelt er mit seiner Schwester Hannah nach Kalkutta, die ihn bald verläßt, um einen Charles Edward Trevelyan zu heiraten. Sie wird später seine Biographin und ihr Sohn sein späterer Biograph werden. Verschüttet werden damit die Machenschaften, mit denen Thomas Babington Macaulay im Parlament sein Einkommen von £1500 auf £10000 steigert. So schreiben Biographen „Geschichte“.

Die Encyclopaedia Britannica würdigt seine herausragenden Leistungen in Kalkutta wie folgt: „Er führte ein nationales Erziehungssystem nach westlicher Weltanschauung ein, und als Vorsitzender eines Ausschusses für die indische Gesetzgebung entwarf er ein Strafgesetzbuch, das später die Grundlage des indischen Strafrechts wurde.“ Und was inhaltlich ‚westliche Weltanschauung‘ (western in outlook) bedeuten sollte, finden wir in seinen Reden und Briefen klar formuliert. ‚Ein nationales Erziehungssystem‘ umschreibt lediglich ein Instrument der Gehirnwäsche.

Wir erinnern uns: „Wir müssen im Augenblick alles tun, um eine Klasse zu formieren, die Vermittler werden könnte zwischen uns und den Millionen von Menschen, über die wir herrschen; eine Klasse von Personen, Inder in Blut und Farbe, aber englisch im Geschmack, in den Meinungen, in den Moralvorstellungen und im Intellekt. Dieser Klasse können wir es überlassen, die einheimischen Sprachen des Landes zu verfeinern und mit wissenschaftlichen Begriffen, entliehen der westlichen Nomenklatur, anzureichern. Darüber hinaus sie schrittweise mit geeigneten Medien ausstatten, damit sie der großen Masse ihrer Bevölkerung Wissen vermitteln kann.“

Bengalische Kollaborateure wie Raja Ram Mohan Roy tragen zur Entstehung dieser Klasse bei. Sie werden von den Kolonisatoren in ihren Druckerzeugnissen als fortschrittliche Menschen verewigt. An seinen Vater hat Thomas Babington Macaulay am 12. Oktober 1836 geschrieben: “Es ist mein fester Glaube, daß es, wenn unsere Erziehungspläne befolgt werden, innerhalb von dreißig Jahren von nun an keinen einzigen Götzendiener unter den achtbaren Schichten in Bengalen geben wird. Und dies wird erreicht werden ohne jegliche Bemühung zur Bekehrung, ohne die geringste Einmischung in ihre Religionsfreiheit, lediglich durch die natürliche Wirkung von Wissen und Überlegung. Ich habe herzliche Freude an diesem Vorhaben.“

Nach seiner Rückkehr nach England in 1838 sitzt Thomas Babington Macaulay bald wieder im Unterhaus, nun für Edinburgh. In ganz Europa sucht er nach „Gelehrten“, die bereit wären, in seinem Sinne die alte Sanskritliteratur und die Veden zu übersetzen. Diese Übersetzung sollte „die neue Klasse“ der blond-blauäugig-weiß-christlichen Kultur in Indien davon überzeugen, daß das Neue Testament der Bibel den alten Veden überlegen sei. Er findet schließlich 1854 Friedrich Maximilian Müller (1823–1900) aus Dessau. 1859 erfindet dieser die „Theorie der Arischen Rasse“. durch seine Behauptung, im Rigveda sei die „Arische Rasse“ besungen. Dabei kann er nachweislich die Veden nur in der Devnagrischrift buchstabieren. Vom Lesen und verstehen der vedischen Texte ganz zu schweigen. Erst 1878 wird er wissen, daß die vedischen Texte nicht in klassischem Sanskrit geschrieben sind.

Der unverheiratete Thomas Babington Macaulay wird 1857 geadelt. Der 1. Baron Macaulay von Rothley stirbt 1859. Unmittelbar danach bezichtigen und belegen mehrere englische Autoren, daß der spätere Lord Rothley häufig Fakten in seinen Büchern erfunden oder verdreht hatte, um andere seine fixen Ideen glauben zu machen. Nun! Hat er nicht gute Vorbilder? In der Chambers’s Biographical Dictionary liest sich das so: „Macaulays Ruf ist nicht mehr, wie er einmal war. – Er wurde der historischen Ungenauigkeiten überführt, des Verzichts auf Wahrheit nur seiner Pointen wegen, der Verzerrung von Fakten ob seines persönlichen Gefallens und ob der Vorurteile der Whigs. Aber als ein pittoresker Erzähler ist er konkurrenzlos.“

Und in der Encyclopaedia Britannica so: “Der Ruf von Macaulay, unermeßlich im letzten Jahrzehnt seines Lebens, verschlechterte sich ständig in den darauf folgenden 50 Jahren. Seine unverhohlene politische Parteinahme, seine arrogante Anmaßung, daß bürgerliche englische Maßstäbe von Kultur und Fortschritt immer und ewig für weniger begünstigte Nationen maßgebend sein würden, und jener Materialismus seiner Urteile über Werte und Geschmack, kamen alle unter schweren Beschuß durch beinahe zeitgenössische Kritiker wie Thomas Carlyle, Matthew Arnold und John Ruskin.“

Auch sein Findling Friedrich Maximilian Müller wird die Theorie der „arischen Rasse“ widerrufen müssen, weil er falsch „übersetzt“ hatte. Aber leider erst fast drei Jahrzehnte später, nach dem der Schaden nachhaltig und unwiderruflich angerichtet war. Die Dementis helfen nicht, wie wir wissen. Und: Fälschung gehörte nicht zum Vokabular von Sir William, Lord Macaulay–Rothley, Friedrich Maximilian Müller und/oder den „Gelehrten“ jener Zeit. Nur jener Zeit?

Wir erinnern uns. Sir William bemüht sich angeblich um einen Sanskritgelehrten an zwei alten Universitäten, in Nadia in Bengalen und in Varanasi („Benares“) in Uttar Pradesh. Vergeblich. Trotz finanziell lukrativer Angebote. Er kann es nicht fassen. Und Sir William wäre nicht der „Oriental Jones“, wenn er sich nicht vorher bei Charles Wilkins erkundigt hätte. Nein. Nur, ihm fiel ein mehr als hübscher Gedanke ein. Er zog es vor, zu erzählen, die Brahmanen wollten die heilige Sprache vor Fremden hüten. Die Problematik der Kollaboration mag Sir William fremd gewesen sein. Aber jeder durchschnittlich intelligente Nachfahre von Sir William hätte fragen müssen, warum die hellenischen, arabischen und persischen Gelehrten über das „Hüten der heiligen Sanskritsprache“ nichts erwähnt haben. Auch nicht Marco Polo. Sir William wäre zumindest zuzutrauen gewesen zu fragen, wie das vermeintlich kollektive Hüten organisiert gewesen ist. Nun, Sir William ist ein überdurchschnittlich intelligenter Kolonisator. Er weiß genau, daß er wieder „einen hübschen Gedanken“ in Umlauf bringen kann, statt berichten zu müssen, daß zu seiner Zeit die Gelehrten in Indien nicht bereit waren, mit den Kolonisatoren zu kollaborieren. Außerdem: kann überhaupt eine Sprache heilig sein? Auch „heilige Sprache“ (sacred language) ist ein hübscher Gedanke, nicht wahr? Und was erzählt uns Garland Cannon auf Seite 131?

„Als er und Anna Maria nach Krishnanagar zogen, hatte er eigentlich einen Standortvorteil im Hinterkopf. Er ging in die benachbarte alte Hindu–Universität in Nuddea (eigentlich Nadia), mit der Absicht, einen Brahmanen als einen eingeborenen Informanten (‚eingeborenen Informanten‘?) und als Sanskritlehrer zu engagieren. Diese Kaste war Bewahrer und Erhalter der Sprache und der Manuskripte in der Sprache und konnte als solche die besten Lehrer bieten. Es war Ferienzeit, aber einige waren dort. Über einen Dolmetscher bat er einen (Brahmanen) um Hilfe. Der Mann lehnte ab. Jones fragte einen anderen. Erneut gab es eine Ablehnung. Er erhöhte sein finanzielles Angebot zu einem bemerkenswerten Betrag (Wieviel ist ‚ein bemerkenswerter Betrag‘?), und erlebte ein ähnliches Schicksal. Kein Brahmane würde einen ungläubigen Christen die heilige Sprache lehren.“

Ja, diese Brahmanen! Engstirnig, fremdenfeindlich, volksfeindlich, ungelehrt, aufklärungsunwillig, kollaborationsunfähig und zentralorganisiert. Verkauft sich diese „hübsche“ Beschreibung nicht gut? Aber stimmt diese hübsche Geschichte auch? Aus welcher Quelle soll Garland Cannon all dies wohl wissen können? In keinem der Briefe von Sir William ist diese hübsche Geschichte erwähnt. Das Anwesen in Krishnanagar wurde 1784 einfach als ein ländliches Refugium, auch als ein Statussymbol, angemietet, wie wir aus seinen Briefen wissen. Aber lesen wir, was uns Garland Cannon auf der selben Seite der Biographie noch beschert: „Jones hatte von der Einstellung der Hindus, Ausländern die heiligen Bücher zu zeigen gewußt, wobei sie dachten, es sei gotteslästerlich, wenn Christen die Bücher nur sehen würden. Hastings und Wilkins, meinte er, hatten viel getan, um eine solche forschungsfeindliche (?) Einstellung zu beseitigen, da sie die westliche Welt bezüglich der unbekannten, fernen Religion aufklären wollten. Sie hatten nicht versucht, in den geheimnisvollen Veden zu graben, noch hatte Jones beabsichtigt es zu tun. Es war ihm nie in den Sinn gekommen, daß die Brahmanen irgend etwas anderes tun würden als herzlichst zu kooperieren, insofern, als er lediglich um die Hindukultur zu kennen, um auf diese Weise ein besserer administrativer Beschützer der Sitten und Rechte des Volkes zu sein, Sanskrit lernen wollte.

Er war nicht einer von denen, die, wenn sie einmal beschlossen haben, etwas zu tun, leicht aufgeben. Er verdoppelte seine Bemühungen, einen brahmanischen Lehrer zu finden und hob hervor, daß es nicht den geringsten Gedanken oder die geringste Wahrscheinlichkeit einer Befleckung der Hindureligion gab. Er trachtete nicht danach, die Veden zu lesen. Sein Ziel war die gesetzliche Rechtmäßigkeit für das indische Volk. Aber kein Brahmane wollte helfen.

Dann mußte eben ein Nicht–Brahmane aushelfen. Es bedurfte großer Bemühung von Jones, um einen Vaidya, einen Heilpraktiker, von seinen hohen Zielen zu überzeugen. Der Mann, dem es selbst verboten war, gewisse Texte zu lesen, setzte strenge Bedingungen fest, die Jones akzeptieren mußte, weil dies die einzige Chance zu sein schien.“

An dieser Stelle gibt Garland Cannon tatsächlich eine Quelle an: The Discovery of India von Jawaharlal Nehru, New York 1946 (S. 316–317). Das Original ist selbstverständlich auf Englisch. Sozusagen in der „Muttersprache“ Jawaharlal Nehrus. Bevor wir die „Muttersprache“ behandeln zitieren wir zunächst die Stelle, die Garland Cannon als Quelle diente: „Ram Mohan Roys journalistische Tätigkeit war aufs engste mit seinen Reformbewegungen verknüpft. Seine synthetische (oder hat er synkretistisch meinen wollen?) und universalen Ansichten wurden von orthodoxen Gruppen abgelehnt, die sich auch gegen viele der von ihm vertretenen Reformen wandten. Er hatte aber auch treue Anhänger, unter ihnen die Familie Tagore, die später bei der Renaissance in Bengalen eine hervorragende Rolle spielte. Ram Mohan ging an Stelle des Mogulkaisers in Delhi nach England und starb zu Beginn der dreißiger Jahre des neunzehnten Jahrhunderts in Bristol.

Ram Mohan Roy, die Tagores und andere lernten Englisch in Privatunterricht. Es gab außerhalb Kalkuttas keine englischen Schulen oder Colleges und die Politik der Regierung(welcher ‚Regierung‘?) war entschieden gegen den Englischunterricht für Inder. 1781 startete die Regierung (‚Regierung‘?) in Kalkutta das ‚Calcutta Madrassa’ für Arabische Studien. 1817 gründete eine Gruppe von Indern und Europäern das ‚Hindu College‘, das spätere ‚Presidency College‘ in Kalkutta. 1791 wurde in Benares (das ist das von den Engländern umbenannte Varanasi) ein ‚Sanskrit–College’ gestartet. Wahrscheinlich im zweiten Jahrzehnt des neunzehnten Jahrhunderts unterrichteten einige Missionsschulen Englisch. In den zwanziger Jahren entstand in Regierungskreisen der Gedanke, Englischunterricht einzuführen; der stieß auf Widerstand. Versuchsweise wurden jedoch in der arabischen Schule in Delhi und einigen anderen Einrichtungen in Kalkutta einige englische Unterrichtsstunden eingeführt. Die endgültige Entscheidung zugunsten des Englischunterrichts fiel in Macaulays Memorandum (Minute) über Ausbildung von Februar 1835. Die Universitäten von Calcutta, Madras und Bombay öffneten 1857 ihre Tore.

Während die britische Regierung in Indien widerwillig gewesen war, Inder auf Englisch zu unterrichten, widersetzten sich brahmanische Gelehrte dem Vorhaben aus anderen Beweggründen: den Engländern sollte Sanskrit unterrichtet werden. Als Sir William Jones, schon ein Sprachwissenschaftler und Gelehrter, als Richter zum ‚Supreme Court‘ kam, äußerte er den Wunsch, Sanskrit zu lernen. Aber kein Brahmane war bereit, einen Fremden und einen Eindringling die heilige Sprache zu lehren, obwohl eine ansehnliche Belohnung (reward) angeboten wurde. Unter großen Schwierigkeiten konnte Jones schließlich einen nicht–brahmanischen Vaidya bzw. praktischen Arzt auftreiben, der sich bereit erklärte, unter seinen eigenen sonderbaren strengen Bedingungen (his own peculiar and stringent conditions) den Unterricht zu erteilen. Jones akzeptierte alle Bedingungen(welche sollen es denn gewesen sein?), so groß war sein Wunsch, die alte (und nicht mehr ‘die heilige’?) Sprache Indiens zu lernen. Sanskrit faszinierte ihn, insbesondere die Entdeckung des alten indischen Dramas. Erst durch seine Schriften und Übersetzungen erhielt Europa einen Einblick in einige der Schätze der Sanskritliteratur. Im Jahre 1784 gründete Sir William Jones die ‚Bengal Asiatic Society‘, die später die ‚Royal Asiatic Society‘ wurde. Indien schuldet Jones und vielen anderen europäischen Gelehrten tiefe Schuld der Dankbarkeit für die Wiederentdeckung /i>(rediscovery) seiner alten Literatur. Gewiß war vieles davon schon immer bekannt, doch dieses Wissen beschränkte sich mehr und mehr auf auserwählte und exklusive Gruppen, und die Dominanz des Persischen als die Sprache der Kultur hat die Aufmerksamkeit des Volkes abgelenkt. Die Suche nach Manuskripten brachte viele wenig bekannte Werke zum Vorschein und die Anwendung der modernen kritischen Methoden der Gelehrsamkeit gab der umfangreichen Literatur einen neuen Hintergrund.“

Woher Jawaharlal Nehru all dies gewußt hat? Muß er uns darüber Rechenschaft geben? Ein Jawaharlal Nehru braucht 1946 keine Quellen anzugeben. Er weiß es eben und er ist als „indischer Freiheitskämpfer“ über alle Zweifel erhaben. Dank den Medien, die im Besitz der blond-blauäugig-weiß-christlichen Kultur sind. Und wenn Garland Cannon Jawaharlal Nehru zitiert, darf auch er nicht gefragt werden. Selbst wenn wir diese Prämisse akzeptierten, müssen wir doch noch fragen, wie es zu Abweichungen bei Garland Cannon von dieser Quelle gekommen ist. Ja, wie? Ist es etwa die Tradition von Arthur Llewellyn Basham ‚mir etwas Freiheit gegenüber den Originaltexten genommen‘ oder ist es nur ein emotionaler Ausbruch eines Autors oder was sonst? Wir belassen die Fragen hier für weiteres Nachdenken.

Uns beschäftigt eine grundsätzlichere Frage. Was wäre, wenn die Angaben von Jawaharlal Nehru nicht stimmten? Wenn Jawaharlal Nehru diese Angaben einfach von dubiosen Quellen abgeschrieben hätte? Entdeckung Indiens ist ein Buch von fast 600 Seiten. Es hat einen Index von 12 Seiten, aber keine Bibliographie. Welche Quellen hat er benutzt? Zu welchen Quellen hätte er überhaupt Zugang haben können? Wie zuverlässig wären diese Quellen gewesen? Es gibt nicht die kleinsten Hinweise darauf, daß Jawaharlal Nehru auch nur eine Quelle seiner Information kritisch überprüft hat. Nun, Garland Cannon sind Fragen wie diese nicht eingefallen. Wir aber unterziehen uns einer kleinen Mühe, schlagen die Encyclopaedia Britannica auf und finden dies: „Jawaharlal Nehru, Beiname PANDIT (Hindi: ‚Pundit‘ oder ‚Lehrer‘) NEHRU (1889 – 1964), erster Ministerpräsident des unabhängigen Indien (1947–64)... Er war auch einer der hauptsächlichen Anführer der indischen Unabhängigkeitsbewegung in den 1930er und 40er Jahren.

Er entstammte einer wohlhabenden Familie von Brahmanen aus Kaschmir, bekannt ob ihrer Verwaltungsfähigkeiten und ihrer Gelehrsamkeit, die im frühen 18. Jahrhundert nach Delhi zugezogen war. Er war der Sohn von Pandit Motilal Nehru, (1861–1931), einem berühmten Juristen, der früh eine lukrative Anwaltskanzlei etablierte und 1896 beim Hohen Gericht von Allahabad zugelassen wurde. ...

Bis zum Alter von 16 Jahren wurde Nehru zu Hause von einer Reihe englischer Gouvernanten und Hauslehrer ausgebildet. Einer von diesen, teils irischer, teils belgischer Theosoph, Ferdinand Brooks, scheint auf ihn einen gewissen Eindruck gemacht zu haben. Jawaharlal hatte auch einen ehrwürdigen indischen Tutor, der ihn Hindi und Sanskrit lehrte. 1905 ging er nach Harrow, einer führenden englischen Schule, wo er zwei Jahre lang blieb. Die akademische Karriere Nehrus war keineswegs hervorragend. Von Harrow ging er zum Trinity College, Cambridge, wo er drei Jahre verbrachte und ein Diplom in Naturwissenschaften erwarb. Nachdem er Cambridge verlassen hatte, qualifizierte er sich nach zwei Jahren als Rechtsanwalt im „Inner Temple“, London, wo er, nach seinen eigenen Worten, seine Prüfung ‚ohne Ruhm und ohne Schande‘ bestand. (...)

Nach seiner Rückkehr nach Indien (in 1912) versuchte Nehru zunächst, sich als Anwalt niederzulassen. Aber, anders als sein Vater, hatte er nur ein oberflächliches Interesse an seinem Beruf und es behagte ihm weder die juristische Praxis noch die Gesellschaft von Juristen. (...) Nehru begegnete 1916 Gandhi zum erstenmal bei der Jahresversammlung der Indischen Nationalen Kongreßpartei in Lucknow. Gandhi war 20 Jahre älter als er. Anscheinend hatte anfänglich keiner beim anderen einen starken Eindruck hinterlassen. Nehru spielte jedoch keine führende Rolle in der indischen Politik bis zu seiner Wahl als Präsident des Kongresses in 1929, als er den Vorsitz über die historische Sitzung in Lahore führte, die die vollständige Unabhängigkeit als das politische Ziel Indiens proklamierte. (...)

Nach dem Tod seines Vaters in 1931 trat Jawaharlal in die inneren Kreise der Kongreßpartei ein und kam dem Mahatma näher. ... Mitte der 1930er Jahre beschäftigte sich Nehru sehr mit den Entwicklungen in Europa, die in Richtung eines weiteren Weltkrieges abzugleiten schienen. Er war in Europa, als er am Anfang des Jahres 1936 seine kranke Frau kurz vor ihrem Tod in einem Sanatorium in der Schweiz besuchte. (...)

Als die Wahlen nach der Einführung der Autonomie der Provinzen die Kongreßpartei in einer Mehrheit von Provinzen an die Macht brachte, war Nehru mit einem Dilemma konfrontiert. Die ‚Muslim Liga‘ unter Mohammed Ali Jinnah (der später der Gründer Pakistans werden sollte) hatte beim Urnengang schlecht abgeschnitten. Daher schlug der Kongreß in unkluger Weise das Angebot Jinnahs ab, Koalitions-regierungen von Kongreß und ‚Muslim Liga‘ in einigen Provinzen zu bilden, eine Entscheidung, auf die Nehru nicht geringen Einfluß hatte. Der darauf folgende Streit zwischen dem Kongreß und der ‚Muslim Liga‘ verhärtete sich zu einem Konflikt zwischen Hindus und Moslems, der letztendlich zur Teilung Indiens und der Gründung Pakistans führte.“

Es ist nicht leicht, die wahre Identität von Jawaharlal Nehru zu bestimmen: ist er nach dem Rezept Thomas Babington Macaulays kulturell als einer der „Neuen Klasse“ geklont oder erhält er eigentlich mehr die Seele eines „Whigs“ anerzogen? Lesen konnte er ausschließlich gedruckte Erzeugnisse auf Englisch, also nur Druckerzeugnisse jener Güteklasse wie sie von den „Sir Williams“ produziert wurden. Wo sollen auch Jawaharlal Nehru und Garland Cannon gelernt haben, einen Sir William nach seinen Quellen zu fragen. Jawaharlal Nehru und Garland Cannon sind ebenso wenig die vielen offensichtlichen Widersprüche in den Erzählungen der “William Jones“ aufgefallen, wie auch Arthur Llewellyn Basham und Thomas R. Trautmann. Aber lassen wir „Widersprüche“ einmal beiseite. Warum fallen uns als durchschnittlich intelligenten Lesern einfache Fragen ein und den Gelehrten in der blond-blauäugig-weiß-christlichen Kultur nicht? Fragen wie: warum Charles Wilkins nie von einer „heiligen Sprache“ Sanskrit gesprochen hat, oder wie Charles Wilkins und viele andere koloniale Bosse vor Sir William Brahmanen als ihre privaten „Pandits“ anmieten konnten, wenn diese eine verschworene Gemeinschaft für das Hüten der „heiligen Sprache“ Sanskrit gewesen sein sollen. Von wem hatten beispielsweise der Franzose Abraham-Hyacinthe Anquetil-Duperron, die Jesuiten, Gaston-Laurent Coeurdoux , Heinrich Roth und Roberto de Nobili Sanskrit gelernt haben sollen?
The Discovery of India (Entdeckung Indiens) von Jawaharlal Nehru gilt in Indien als ein aufklärerisches Buch. Die Umstände des Entstehens sind bemerkenswert. Er ist im kolonialen Gefängnis eingesperrt. Seine Frau lebt nicht mehr. Seine kleine Tochter Indira ist de facto ohne einen „richtigen“ Erzieher. Und er hat im Gefängnis viel Zeit. Außerdem sollen die kolonialen Gefängnisse für führende Freiheitskämpfer in jener Zeit wie Luxushotels gewesen sein. Elektronische Medien für den Zeitvertreib hat es noch nicht gegeben. Aber jede Menge Printmedien und Möglichkeiten zum Schreiben. Also schreibt Jawaharlal Nehru Briefe an seine Tochter, um seinem Erziehungsauftrag nachzukommen. Aus diesen Briefen soll The Discovery of India (Entdeckung Indiens) entstanden sein. Als die Erstausgabe 1946 herauskommt, steht schon fest, daß Jawaharlal Nehru der erste Ministerpräsident des unabhängig werdenden Indiens sein wird. Die Unabhängigkeit ist die Folge eines Gesetzes im britischen Parlament: Demnach hat Großbritannien “Britisch–Indien” geteilt und dann verlassen, um länger zu bleiben.

Wie gesagt, The Discovery of India (Entdeckung Indiens) von Jawaharlal Nehru ist eine Pflichtlektüre für „gebildete“ Inder. Auch heute noch. Das Buch hat viele Auflagen gehabt. Wir haben den 19. Ausdruck des Jahres 1999 gelesen, der von dem „Jawaharlal Nehru Memorial Fund“ seit 1981 gedruckt und durch „Oxford University Press” vertrieben wird. Das Copyright hält nun Sonia Gandhi, die Schwiegertochter Indiras. Das Buch enthält, wie gesagt, keine Bibliographie. Daß er nur Quellen in der englischen Sprache nutzen konnte, geht auch aus seiner Biographie hervor. Britische Gouvernanten und Privatlehrer wie Ferdinand Brooks bis zum 16. Lebensjahr, dann Harrow, wie bei William Jones und dessen Zögling Lord Althorp, dem Sohn von Graf Spencer, dann Trinity College wie Thomas Babington Macaulay, im Anschluß daran das Jura–Studium, wie William Jones und Thomas Babington Macaulay. Später war er zu beschäftigt, seine Muttersprache oder eine andere indische Sprache gründlich zu lernen.

Die Frage ist natürlich unvermeidlich, ob der 1. Ministerpräsident der „Republik Indien“, Jawaharlal Nehru, mehr Brite als Inder gewesen ist. Eine Seele wie die eines Whigs? Oder erzeugt als jene neue Klasse des Thomas Babington Macaulay? Gehirnwäsche total? Wie hieß es noch in seinem 30–Jahres Programm? „Dieser Klasse können wir es überlassen, die einheimischen Sprachen des Landes zu verfeinern und mit wissenschaftlichen Begriffen, entliehen der westlichen Nomenklatur, anzureichern. Darüber hinaus sie schrittweise mit geeigneten Medien ausstatten, damit sie der großen Masse ihrer Bevölkerung Wissen vermitteln kann.“

Die Encyclopaedia Britannica weiß auch Interessantes aus der Biographie seines politischen Mentors, dem „Vater der indischen Nation“, Mohandas Karamchand Gandhi zu berichten: „Die Ausbildungseinrichtungen in Porbandar waren rudimentär; in der Grundschule, die Mohandas besuchte, schrieben die Kinder das Alphabet mit ihren Fingern in den Sand. Zu seinem Glück wurde sein Vater ‚Dewan‘ (Minister) von Rajkot, einem anderen Fürstenstaat. Obwohl er gelegentlich Preise und Stipendien auf den örtlichen Schulen gewann, waren seine Leistungen im ganzen mittelmäßig. Eines der Schlußzeugnisse stufte ihn als ‚gut in Englisch, befriedigend in Arithmetik und schwach in Geographie; Benehmen sehr gut, Handschrift schlecht‘ ein. ... Es war klar, daß er, sollte er die Familientradition des Innehabens eines hohen Amtes in einem der ‚Staaten‘ in Gujarat fortführen, sich als Rechtsanwalt qualifizieren mußte. Dies bedeutete, England zu besuchen, und Mohandas, der im ‚Samaldas College‘ nicht sehr glücklich war, nahm den Vorschlag begeistert an. In seiner jugendlichen Phantasie stellte er sich England als ‚ein Land von Philosophen und Dichtern, den richtigen Mittelpunkt der Zivilisation‘ vor. ... er trat die Reise im September 1888 an. Zehn Tage nach seiner Ankunft trat er in den „Inner Temple“ (wie William Jones) ein, einen der vier ‚Colleges‘ für Jura in London.

Gandhi nahm sein Studium ernst und versuchte, sein Englisch und Latein aufzufrischen, indem er sich der Immatrikulationsprüfung der Londoner Universität unterzog. ... In den vegetarischen Restaurants und Pensionen Englands traf Gandhi nicht nur Ernährungssonderlinge, sondern auch einige ernsthafte Männer und Frauen, denen er seine Einführung in die Bibel und in das Bhagavadgita, den populärsten Ausdruck von Hinduismus in Gestalt einer philosophischen Dichtung verdankte, die er zum ersten Mal in ihrer englischen Übersetzung von Sir Edwin Arnold las. Die englischen Vegetarier waren ein buntscheckiger Haufen. Darunter waren Sozialisten und Menschen-freunde wie Edward Carpenter, der ‚britische Thoreau‘, Fabianer wie George Bernhard Shaw, und Theosophen wie Annie Besant. Die meisten unter ihnen waren Idealisten; ziemlich viele waren Rebellen, die die vorherr-schenden Werte des späten viktorianischen ‚Establishment‘ ablehnten, die Übel der kapitalistischen und industriellen Gesellschaft anprangerten, den Kult des einfachen Lebens predigten, und die Überlegenheit der Moral über materielle Werte und der Kooperation über dem Konflikt hervorhoben. Diese Ideen sollten zur Bildung von Gandhis Persönlichkeit und am Ende zu seiner Politik wesentlich beitragen.

Schmerzhafte Überraschungen erwarteten Gandhi als er im Juli 1891 nach Indien zurückkehrte. Seine Mutter war in seiner Abwesenheit gestorben, und er fand zu seiner Bestürzung heraus, daß das Rechtsanwaltsdiplom keine Garantie für eine einträgliche Karriere war. Der juristische Beruf fing bereits an, überbesetzt zu sein und Gandhi war zu schüchtern, um darin mit Ellenbogenkraft seinen Weg zu machen. In dem allerersten Plädoyer, das er in einem Gericht zu Bombay hielt, machte er eine traurige Figur. Nachdem er sogar für eine Teilzeitstelle als Lehrer auf einer höheren Schule in Bombay abgelehnt worden war, kehrte er nach Rajkot zurück, um mit dem Aufsetzen von Eingaben für streitende Parteien einen bescheidenen Lebensunterhalt zu verdienen. Sogar diese Tätigkeit wurde ihm verschlossen, als er das Mißfallen eines örtlichen britischen Offiziers erregte. Mit einiger Erleichterung nahm er daher von einer indischen Firma das nicht allzu attraktive Angebot eines Jahresvertrages in Natal, Südafrika an.“

Wenn alle diese Übermittlungen durch die ehrwürdige Encyclopaedia Britannica zutreffen, kommen wir nicht umhin, neidlos anzuerkennen, daß die Saat von Thomas Babington Macaulay England reiche Ernte gebracht hat und heute noch reichere Ernte für alle Industrieländer einbringt. Wenn wir aber Zweifel an diesen Übermittlungen anbrächten, müßten wir die Bibliotheken aller Länder von Druckerzeugnissen entrümpeln, die von „Sir Williams“, von „Lord Macaulay of Rothleys“, von „Jawaharlal Nehrus“ produziert worden sind.

Ein letztes Beispiel über die ‚moderne kritische Methode der Gelehrsamkeit‘ der blond-blauäugig-weiß-christlichen Kultur. In The Discovery of India (Entdeckung Indiens) verewigt Jawaharlal Nehru 1946 jene Kolonisatoren als unerschütterliche Autorität, die alles daran gesetzt hatten, die Kolonisation ohne Rücksicht auf Verluste auf Dauer zu festigen (S. 165): „Schon 1784 bemerkte Sir William Jones: ‚Die Sprache Sanskrit, wie alt sie auch sein mag, hat einen wunderbaren Aufbau, ist vollendeter als Griechisch, wortreicher als Latein und viel geschliffener als beide; doch trägt sie eine stärkere Ähnlichkeit (a stronger affinity) zu beiden, sowohl in den Wurzeln der Verben als auch in den grammatischen Formen, als sie durch bloßen Zufall hätte entstehen können; sie ist so stark, daß kein Philologe die drei Sprachen untersuchen könnte, ohne zu glauben, daß sie einem gemeinsamen Quell entsprungen sind, der vielleicht längst versiegt ist ...’“.

Jawaharlal Nehru hätte mühelos wissen können, daß die oben zitierten Feststellungen von William Jones eine profunde Kenntnis aller drei Sprachen vorausgesetzt hätte, die dieser nicht gehabt hat. 1784 glaubte Sir William immer noch daran, er käme mit seinem Persisch in Kalkutta klar. Er besaß nicht einmal Kenntnisse über nur eine der gesprochenen indischen Sprachen. Also hätte Jawaharlal Nehru beim aufmerksamen Lesen der Literatur zumindest Zweifel haben müssen, ob die obigen weitreichenden Behauptungen Sir Williams stimmen konnten.

Bei einer Überprüfung würde Jawaharlal Nehru zwangsläufig festgestellt haben, daß nichts dergleichen in den Schriften von William Jones bis 1784 zu finden ist. Daraus folgern wir, daß es Jawaharlal Nehru nicht darauf ankam, etwas richtiges zu zitieren. Er muß – wie auch heute üblich – einfach abgeschrieben haben. Bis heute ist das Zitat in Entdeckung Indiens nicht beanstandet worden. Wer soll auch einem so „hübschen Gedanken“ nicht glauben wollen. Außerdem kostet das Überprüfen viel Mühe und Zeit. Wir haben uns auch darüber gewundert, warum der Satz nicht vollständig zitiert wird.

Jawaharlal Nehru fährt – nach dem abgebrochenen Satz – dann fort: „Viele europäische Gelehrte, englische, französische, deutsche und andere, die das Sanskrit studierten und das Fundament einer neuen Wissenschaft legten – der vergleichenden Sprachwissenschaft –, folgten William Jones. (...) Es entstand in Indien ein neuer Gelehrtentyp unter europäischer Inspiration, und viele Inder gingen nach Europa (vorzugsweise nach Deutschland) um sich in den neuen Forschungsmethoden und dem kritischen und vergleichenden Studium unterweisen zu lassen. Diese Inder besaßen gegenüber den Europäern einen Vorteil, aber auch einen Nachteil. Der Nachteil beruhte auf gewissen vorgefaßten Vorstellungen, vererbten Glaubenssätzen und Überlieferungen, die sich einer leidenschaftslosen Kritik in den Weg stellten. Der Vorteil, er war groß, bestand in der Fähigkeit, in den Geist des Geschriebenen einzudringen, sich die Umgebung, in der es entstand, auszumalen und dadurch besser hineinzufinden.“

Diese Inder, wie Jawaharlal Nehru einer war, waren doch eigentlich die besseren Europäer! Mit Gehirnwäsche versehen und kulturell geklont. Und sie haben den wenigen „William Jones“ kräftig geholfen, eine schier unüberwindbare Mauer der Verlogenheit und Falschheit zu errichten. In Form von kilometerlangen festgebundenen Druckerzeugnissen in den Bibliotheken. Eine Mauer zwischen dem tradierten Wissen und den „modernen Wissenschaften“, basiert auf den ‚neuen Forschungsmethoden und das kritische und vergleichende Studium‘. Alles Neue zählt. Eine sachliche Kritik des Neuen ist eigentlich überflüssig und auch nicht erwünscht. Sie ist auch mühsam.
Mühsam haben wir diese von Jawaharlal Nehru zitierte Stelle in den Schriften von William Jones gesucht. 1784, Fehlanzeige. 1785, Fehlanzeige.

Fakt ist, daß er nie einen solchen Satz geschrieben hat. In einer Festrede hat er den Satz gesprochen. Deshalb werden wir fündig in der 13–bändigen Biographie, zusammengetragen von dem ehemaligen Kollegen Sir Williams in Bengalen, Sir John Shore, dem spätere Lord Teignmouth. Im „The third Anniversary Discourse, delivered 2 February, 1786 by The President“ (Der dritte feierliche Diskurs vom 2. Februar 1786 des Präsidenten). Hier folgt der vollständige Satz: „Die Sprache Sanskrit, wie alt sie auch sein mag, ist von wundervollem Gefüge; vollendeter als Griechisch, reichlicher als Latein, und mehr exquisit verfeinert als beide, bringt sie dennoch zu diesen beiden eine stärkere Affinität hervor, sowohl in den Wurzeln der Zeitwörter als auch in den Formen der Grammatik, als es möglicherweise durch Zufall zustande gekommen sein könnte; in der Tat so stark, daß kein Philologe sie alle drei (beim Abschreiben verliert Jawaharlal Nehru das Wort ‚drei‘ und ein Komma) untersuchen könnte, ohne zu glauben, sie seien irgend einer gemeinsamen Quelle entsprungen, die, vielleicht, nicht mehr existiert (Jawaharlal Nehru bricht den Satz hier ab): es gibt einen ähnlichen Grund, obwohl nicht so zwingend, um anzunehmen, daß sowohl Gothisch wie auch das Keltische, obwohl mit einer ganz anderen Sprache vermischt, den gleichen Ursprung hatten wie das Sanskrit (Nachweislich besitzt Sir William auch im Februar 1786 keine Kenntnisse über diese Sprachen!); und man könnte das alte Persisch dieser Familie hinzufügen, wenn dies der Ort wäre, um jegliche Frage betreffend die Altertümer Persiens zu erörtern.“

Warum wurde der Satz nicht vollständig zitiert? Nun gut. Abschreibekünstler sind sie halt alle. Selbst am 2. Februar 1786 konnte Sir William keine einzige indische Sprache, von Sanskrit ganz zu schweigen. Was den Stand der Kenntnisse des Persischen bei Sir William angeht, so beleuchtet ihn folgender Tatbestand, berichtet von Garland Cannon (S. 143): „Ein persischer Lehrer hatte das Paar (Sir und Lady Jones) auf ihren Ferien begleitet, mit dem Zweck, Jones mit dieser Sprache jeden Morgen für eine Stunde oder so behilflich zu sein.“ Wir zählen das Jahr 1786, Sommer 1786.
Und wer will heute ernsthaft wissen, in welcher Sprache Jawaharlal Nehru in 1946 sich in seinen vier Wänden mit seiner Tochter Indira unterhielt? Wir müssen lernen, dieses und ähnliches wissen zu wollen. Und wir müssen vor allem lernen, die Realität zu kennen und nicht nur virtuelle Realitäten.